Reader zur 2. Klausur

12. Jg. Gk Behn 2. Sem.  Schj. 00/01  Internationale Beziehungen (Nachschlag)


INHALT:

Bundeswehr


contra-wehrpflicht


Weitere Adressen


Bundeswehr   Zitate der Site: http://www.bundeswehr.de

1. Warum Wehrpflicht?

Die Wehrpflicht steht für die Bereitschaft der Bürger, persönlich Mitverantwortung für den Schutz ihres Gemeinwesens zu übernehmen. In den vergangenen 40 Jahren haben über acht Millionen junge Männer in der Bundeswehr ihren Dienst für die Gemeinschaft und damit ihren ganz persönlichen Beitrag zum Schutz der Bundesrepublik Deutschland vor äußeren Gefahren, zu Frieden und Freiheit und schließlich zur Einheit Deutschlands geleistet.

Über die Wehrpflicht bleibt die Bundeswehr in engem Kontakt mit der gesamten Bevölkerung, vor allem mit der jungen Generation.

Gerade in den neuen Ländern trägt die Wehrpflicht dazu bei, die Bundeswehr im Bewußtsein der Bevölkerung
zu verankern. Sie fördert den Austausch junger Menschen aus den östlichen und westlichen Bundesländern.
Damit trägt die Bundeswehr auch zur inneren Einheit Deutschlands bei. Der Kern des Auftrags der Bundeswehr bleibt die Landes- und Bündnisverteidigung. Neben den gewichtigen gesellschaftspolitischen Gründen, die für die
Wehrpflicht sprechen, stehen unabdingbare militärische Notwendigkeiten. Die Mobilmachungs- und Aufwuchsfähigkeit ist ohne Wehrpflicht, ohne Reservisten, nicht zu machen. Die Wehrpflichtarmee ist darüber hinaus die intelligentere Armee; fast die Hälfte unseres Führungsnachwuchses gewinnen wir aus Grundwehrdienstleistenden, die sich erst nach Dienstantritt für eine Verpflichtung entscheiden.

     In ihrer Mischung aus Berufs- und Zeitsoldaten, Grundwehrdienstleistenden und Reservisten ist die Bundeswehr die Armee, die den Aufgaben deutscher Streitkräfte am besten entspricht. Neben der Fähigkeit, angemessen und wirkungsvoll an internationaler Krisenbewältigung und Friedensmissionen teilzunehmen, bedeutet die Fähigkeit, die
Streitkräfte im Ernstfall auf doppelte Stärke zu bringen, schon im Frieden Stabilität für unseren Kontinent. Das geht nur mit Wehrpflichtigen und Reservisten.

Die Mobilmachungs- und Verteidigungsfähigkeit der Streitkräfte Deutschlands in der Mitte Europas ist ein wesentlicher Faktor unseres Gewichts im Bündnis und ein wichtiges Element der Stabilität in Europa. Die  Wehrpflichtarmee Bundeswehr ist außerdem Vorbild und Maßstab für die Streitkräftereformen in den neuen
Demokratien.

Darüber hinaus schafft die Wehrpflichtarmee eine solide Rekrutierungsbasis für die Nachwuchsgewinnung. Aus den Grundwehrdienstleistenden gewinnt die Bundeswehr etwa die Hälfte der Zeit- und Berufssoldaten.

Stand:10. April
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2. Die Geschichte der Wehrpflicht
 

Die allgemeine Wehrpflicht entsteht in Deutschland im Zuge der Freiheitskriege gegen das napoleonische Frankreich, vollzieht damit aber zugleich nach, was das revolutionäre Frankreich bereits vorgezeichnet und zur Grundlage seiner frühen militärischen Erfolge gemacht hatte. Die preußischen Heeresreformer um Gneisenau, Scharnhorst und Boyen erklären die Verteidigung des Vaterlands zur sittlichen Pflicht jeden Bürgers, erheben damit
aber zugleich den Soldatenberuf zu einem für ehrbare Bürger angemessenen Stand.

Die restaurativen Strömungen nach 1815 führen dazu, daß im Verlaufe des 19. Jahrhunderts die Wehrpflicht immer mehr dazu dient, breite Schichten der Bevölkerung zu militarisieren. Dazu wird insbesondere das Instrument der Reserveoffizierkarriere genutzt; im kaiserlichen Deutschland ist ein Reserveoffizierdienstgrad Ausweis gehobener gesellschaftlicher Existenz.

Nach dem Ersten Weltkrieg wird Deutschland im Versailler Vertrag die allgemeine Wehrpflicht verboten. Die Folge ist unter anderem eine weitgehende Isolierung der Armee von der bürgerlichen Gesellschaft und eine indifferente Haltung der Streitkräfte gegenüber dem demokratischen System („Staat im Staate”).

Die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht durch das nationalsozialistische Deutschland (1935) markiert
daher den offenen Bruch mit dem Versailler Vertrag. Sie schafft die Grundlage für das Massenheer, das ab 1939 im Zweiten Weltkrieg für expansive Ziele eingesetzt wird.

Bei der Diskussion um einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag wird bereits 1950 (Himmeroder Denkschrift) von einem Wehrpflichtheer ausgegangen, weil nur so die beabsichtigte Truppenstärke erreicht werden kann, und weil auf diese Weise eine engere Verbindung der neuen deutschen Streitkräfte mit dem  parlamentarisch-demokratischen System erreicht werden soll.

In der DDR wird die Wehrpflicht erst eingeführt, nachdem der Bau der Berliner Mauer 1961 den Wehrpflichtigen den Ausweg der Flucht in den Westen versperrt hat.

Überblick über die Dauer des Grundwehrdienstes seit Aufstellung der Bundeswehr

          1956 - 1961: 12 Monate
          1962 - 1971: 18 Monate
          Begründet wird die Heraufsetzung durch die damalige Spannungssituation in Europa,
          die sich durch die Errichtung der „Berliner Mauer” 1961 verschärft hatte.
          1972 - 1985: 15 Monate
          1986 - 1988: 18 Monate
          1989: 15 Monate
          Die 1986 beschlossene Verlängerung des Grundwehrdienstes wird ausgesetzt.
          1990 - 1995: 12 Monate
          Diese Regelung gilt rückwirkend für alle Grundwehrdienstleistenden zum 1. Oktober
          1989, für alle neu einberufenen Wehrpflichtigen ab 1. Oktober 1990.
          Seit 1996: 10 Monate
          Es schließt sich eine zwei-monatige Verfügungsbereitschaft an. Zudem gibt es die
          Möglichkeit eines an den Grundwehrwehrdienst anschließenden freiwilligen
          zusätzlichen Wehrdienstes von mindestens zwei und höchstens 13 Monaten.

Stand:10. April




3. Hauptstatement der Site http://www.contra-wehrpflicht.de:

Die Bundeswehr hat entscheidend dazu beigetragen, die politische Handlungs-
und Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland zu wahren und unser Land
vor politischer Erpressung zu schützen. Sicherheit in Europa ist auch heute noch
keine Selbstverständlichkeit, wie der Krieg im ehemaligen Jugoslawien gezeigt
hat. Die Bundeswehr ist für unseren Staat unverzichtbar, sie schützt und
verteidigt Deutschland, dient dem Weltfrieden und fördert die militärische
Stabilität und Integration Europas.

Die Existenzbegründung unserer Streitkraft steht somit außer Diskussion. Doch
brauchen wir heute noch die Wehrpflicht?

Deutschland ist zum ersten mal von Freunden umzingelt! Die Veränderungen der
politischen und strategischen Bedingungen verlangen, den Gesamtumfang der
Streitkräfte zu reduzieren. Von den neunzehn Mitgliedsstaaten der NATO halten
zur Zeit neben Deutschland nur noch sieben weitere Staaten an der Wehrpflicht
fest.

Wenn die Wehrpflicht wirklich "demokratische Normalität" wäre, wäre es um den
Zustand unserer wichtigsten NATO-Partner, die eine längere demokratische
Tradition als die Deutschen haben und keine Wehrpflicht mehr praktizieren,
schlecht bestellt.

Jeder deutsche Staatsbürger wird als potentieller Soldat geboren. Die
Bundeswehr scheint die "Erziehungsschule der Nation" zu sein.

Die Wehrpflicht muss ausgesetzt werden, weil sie

   keine politische oder strategische Existenzbegründung hat
   ein Eingriff in die individuelle Freiheit ist
   das Recht auf freie Berufs- und Lebensgestaltung behindert

Ein als Alternative vorgeschlagenes "Pflichtjahr" für Männer und Frauen,
vergleichbar mit dem Reichsarbeitsdienst des Nazi-Regimes, ist
verfassungswidrig, teuer, wirkt sich negativ auf das soziale Zusammenleben aus
und schadet unserem internationalen Ruf.

Ich selbst habe mich 1997 für den Grundwehrdienst und nicht für den Zivildienst
entschieden. Diese Entscheidung fiel mir nicht leicht.

Auf der einen Seite komme ich aus einer Familie, in der die Bundeswehr eine
große Rolle spielte. Mein Vater war Berufsoldat und somit habe ich mich schon
im frühen Alter damit auseinandersetzen müssen. Ich akzeptierte den Beruf
meines Vaters und das hat sich auch heute nicht geändert. Mein Vater hat mich
nie beeinflusst, für welchen Dienst ich mich entscheiden soll.

Auf der anderen Seite fehlte mir schon bei Antritt meines Grundwehrdienstes die
Überzeugung, dass die Wehpflicht noch einen Nutzen hat.

(C) 2000


4. Die Pro-und-Contra-Seite vonhttp://www.contra-wehrpflicht.de

PRO ABSCHAFFUNG/AUSSETZUNG

CONTRA ABSCHAFFUNG/AUSSETZUNG
[...]

5. Out of Area - Einsatz

Die Bundesregierung behält sich Auslandseinsatz für normale Wehrpflichtige vor

Mo. 19.06.2000 - Die Bundesregierung behält sich entgegen der bisherigen Praxis vor, normale Wehrpflichtige auch zu Auslandseinsätzen wie beispielsweise im Kosovo einzusetzen, berichtete die Süddeutsche Zeitung in München. Darüber hinaus dienten die Auslandseinsätze der Bundeswehr im Rahmen von Nato und UN als Begründung für die Aufrechterhaltung der Wehrpflicht in Deutschland. Dies gehe aus einem Schriftsatz des Bundesverteidigungsministeriums zum Verfahren eines Totalverweigerers [1] vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hervor, so SZ-Autor Christoph Schwennicke in der Ausgabe vom Freitag.

Die Beteiligung von normalen Wehrpflichtigen an Auslandseinsätzen war in Deutschland schon immer umstritten. Zu den politischen Voraussetzungen der Out-of-Area-Einsätze gehörte, dass Wehrpflichtige nicht gegen ihren Willen zu Auslandseinsätzen geschickt werden können. Praxis ist, dass nur freiwillig längerdienende Wehrpflichtige bis zu 23 Monate daran teilnehmen.

In dem Schriftsatz an die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, wird Bezug genommen auf die juristische Einschätzung des Verfassungsrechtlers Dieter Walz. Dieser vertritt die Auffassung, dass gemäß Grundgesetz auch ein Einsatz im Bündnis der Verteidigung der Bundesrepublik diene. Spätestens seit dem Auslands-Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1994 sei "auch die Beteiligung deutscher Streitkräfte an einer friedenserhaltenden Mission der UN, der Nato oder WEU" damit eingeschlossen. Das Gericht habe nicht explizit zu den verschiedenen "Soldatenstatusgruppen" Stellung genommen, die Wehrpflichtigen also nicht ausgenommen. Walz: "Mit anderen Worten: immer dann, wenn die deutschen Streitkräfte einen verfassungsgemäßen Auftrag auszuführen haben, leisten Soldaten Dienst in den Streitkräften, das heißt Wehrpflichtige sind in diese Aufträge genauso einbezogen wie Längerdiener." In dem von Ex-Staatssekretär Peter Wichert unterzeichneten Schriftsatz heißt es weiter: "Die Bundesregierung teilt diese Ausführungen."

Die in dem Schriftsatz vertretene Rechtsauffassung mache deutlich, dass es sich bei der Praxis, nur freiwillig längerdienende Wehrpflichtige an Auslandseinsätzen teilnehmen zu lassen, um ein politisches Zugeständnis, nicht um eine bindende Regelung handle, schreibt Christoph Schennicke in der Süddeutschen Zeitung und folgert: "Weil das Schreiben an das Verfassungsgericht zum Ziel hat, die Wehrpflicht in der heutigen sicherheitpolitischen Lage zu begründen, kann gefolgert werden, dass auch die zunehmenden Auslands-Aufgaben der Bundeswehr als Begründung für die Wehrpflicht herangezogen wird."

(boa München, 19.06.2000, quelle: sz v.16.06.2000)
[1] Der heute 31-jährige hatte bereits 1978 total verweigert, war also auch nicht zum Zivildienst bereit. Das Landgericht Potsdam hielt es 1999 für geboten, dass das Bundesverfassungericht über die Rechtmäßigkeit der Wehrpflicht nach Ende des Kalten Krieges neu urteilt.
Fundstelle: http://home.t-online.de/home/boa-kuenstlerkooperative/n0006190.htm

6. SPD stellt Bundeswehr nicht in Frage: Für Wehrpflicht und Auslandseinsätze

Walter Kolbow, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD, über die Zukunft der Streitkräfte   22.07.98 (Quelle: Main.Echo)

»In der Verteidigungs- und Außenpolitik«, das gibt Walter Kolbow zu, »sind wir viel näher bei der Regierung als auf anderen Feldern der Politik.« So fiel es dem verteidigungspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion nicht leicht, zur Frage der »Zukunft der Bundeswehr« ein alternatives, sozialdemokratisches Profil zu entwickeln.

Ob Auslandseinsätze der Bundeswehr, künftige Personalstärke, Standort- oder Beschaffungsfragen, Walter Kolbow bezog in Weilbach weitgehend bekannte Positionen: Ein klares Bekenntnis zur Wehrpflicht, ein zähneknirschendes Ja zum Euro-Fighter und eine Absage an weitere Reduzierungen der Truppenstärke.

Der Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der SPD in Unterfranken nannte sich einen »Lobbyisten der militärischen und zivilen Beschäftigten der Bundeswehr«. Beifall fand er mit seinen Aussagen bei einigen der rund 40 Zuhörer, andere machten deutlich, daß sie die Frage »Brauchen wir eine Armee mit 340000 Mann?« doch ein wenig klarer beantwortet haben wollten. Denn Kolbow argumentierte sowohl in die eine wie auch in die andere Richtung: »Unsere Armee hat eine Größe und eine Struktur, die wir uns nicht leisten können«, sagte er, sprach sich aber wenig später aus arbeitsmarktpolitischen Gründen gegen eine Reduzierung der Truppenstärke und gegen weitere Schließungen von Standorten aus: »Die SPD übernimmt eine Standortgarantie, denn gerade wir müssen uns dafür einsetzen, daß die notwendigen Strukturveränderungen der Bundeswehr sozialverträglich sind.«

Für Kolbow liegt die Zukunft der Bundeswehr in einer europäischen Armee. Hier könne es durch Aufgabenteilung zum Truppenabbau und damit zu Einsparungen kommen, doch sei dieser Weg noch weit. Im Moment, so hatte der SPD-Verteidigungsexperte zu Beginn seiner Ausführungen betont, brauche die Bundesrepublik Streitkräfte. Seine Begründung: Zwar sei der Ost-West-Konflikt Vergangenheit, doch berge das Auseinanderbrechen des Warschauer Paktes für die westlichen Staaten immer noch ein militärisches Restrisko. Nicht alle Oststaaten mit Streitkräften oder gar Atomwaffen seien politisch stabil.

Unsicherheitsfaktoren seien auch das sogenannte Proliferations-Risiko, die unkontrollierte Produktion von atomaren, biologischen und chemischen Kampfstoffe in Staaten wie dem Irak oder Lybien, daneben die Globalisierung von Kriminalität und Terrorismus sowie die Gefahren von ethnischen Konflikten und Kriegen überall in der Welt, mit den von ihnen verursachten Flüchtlingsströmen. All dies sind für Kolbow Belege für die Notwendigkeit der Bundeswehr. Eindeutig sprach sich der SPD-Politiker auch für die Beibehaltung der Wehrpflicht aus. Nur sie garantiere die Einbindung der Streitkräfte in die Gesellschaft. Und nur durch die Ausbildung von jährlich 140000 Wehrpflichtigen sei gewährleistet, daß die Armee im »Verteidigungsfall« auf ihre Kriegsstärke von 660000 Mann anwachsen könne. In den vergangenen 40 Jahren, so Kolbow, sei die Bundesrepublik »Sicherheitsnehmer« gewesen. Jetzt erwarteten Bündnispartner und die Vereinten Nationen zu Recht, daß Deutschland international Verantwortung übernehme. Er erwartet auch, daß sich die USA aus der europäischen Krisenpolitik zurückziehen. Deshalb sei der Aufbau der sogenannten Krisenreaktionskräfte eine vordringliche Aufgabe der Verteidigungspolitik. Schon jetzt sei die Bundeswehr mit ihrem 3000-Mann-Kontigent für Bosnien an der Grenze ihrer Belastbarkeit. Aus 89 verschiedenen Verbänden müsse Personal abgestellt werden.

Beifall erhielt Kolbow von einem Berufssoldaten unter den Zuhörern. Doch es wurden auch Stimmen laut, die hinterfragten, ob das egoistische Festhalten an jedem Kleinststandort den Weg zu einer europäischen Armee und zu Einsparungen bei den Streitkräften wirklich öffne.                 Georg Kümmel

http://www.dfg-vk.de/bundeswehr/wehr001.htm

7. Auslaufmodell Wehrpflicht

Mit einer Berufsarmee wird der Spagat zwischen Sparzwang und Sicherheit am ehesten bewältigen zu sein

06. 04. 2000 (Quelle: Frankfurter Rundschau von Jochen Siemens)

Verteidigungsminister Rudolf Scharping erinnert derzeit stark an den früheren Arbeitsminister Norbert Blüm mit seinem gebetsmühlenhaft vorgetragenen Satz: Die Renten sind sicher. Bei Scharping heißt es stereotyp: An der Wehrpflicht wird nicht gerüttelt. Losgelöst von Sicherheitslage und Haushaltssituation möchte man dem Minister ja gerne beispringen. Die Bundesrepublik Deutschland ist mit ihrer auf der Wehrpflicht fußenden Bundeswehr überaus gut gefahren. Die Wehrpflicht, "das legitime Kind der Demokratie", wie der erste Bundespräsident Theodor Heuss sie nannte, verscheuchte über die Jahrzehnte so manche dunklen Geister deutscher Vergangenheit. Kein Staat im Staate, sondern eine Armee, die als Teil der Gesellschaft akzeptiert, wenn auch nicht unbedingt geliebt wird. Staatsbürger in Uniform, auf die Verfassung vereidigt und vom Parlament kontrolliert. Talente aus allen Teilen der Bevölkerung kamen in die Armee; aus den Wehrpflichtigen rekrutiert sich bis heute wesentlich der Nachwuchs der Zeit- und Berufssoldaten. Generäle, die als wehrpflichtige Rekruten anfingen, sind aus einem anderen Holz geschnitzt als Karriereoffiziere einer Berufsarmee.

Solche Qualitätsmerkmale und Erfahrungswerte darf man nicht leichtfertig aufgeben. Man muss nur einmal den ehemaligen Generalinspekteur Klaus Naumann über die Qualitäten einer Wehrpflichtarmee - ihre militärischen wie ihre staatsbürgerlichen - reden hören und begreift, dass die derzeit diskutierten Veränderungen der Bundeswehr von ähnlicher Dimension sind wie der Beschluss zur Wiederbewaffnung 1955.

Aber der Status quo ist nicht heilig. Die Sicherheitslage Deutschlands hat sich glücklicherweise dramatisch verändert. Sie verlangt keine rasch vermehrbare Massenarmee mehr und kennt keine Bedrohung durch riesige angreifende Panzerverbände. Und reicht der Hinweis darauf, eine solche Bedrohung könnte dereinst wieder entstehen, dazu aus, das Urteil Roman Herzogs zu entkräften? Der frühere Bundespräsident nannte die Wehrpflicht einen so tiefen "Einschnitt in die individuelle Freiheit des jungen Bürgers, dass ihn der demokratische Rechtsstaat nur fordern darf, wenn es die äußere Sicherheit des Staates wirklich gebietet. Sie ist kein allgemein gültiges ewiges Prinzip, also abhängig von der konkreten Sicherheitslage."

Das Bundesverfassungsgericht wird sich dazu äußern müssen. Die Politik aber täte gut daran, selbst Flagge zu zeigen. Der Vorwurf, die Bundesregierung habe bisher kein umfassendes Konzept einer Außen- und Sicherheitspolitik vorgelegt, ist formal richtig, aber nicht sachgerecht. Zu Zeiten des Kalten Krieges lagen die Dinge recht einfach. Es gab die Räson der nordatlantischen Allianz, die Vorgaben der USA und den Willen zur europäischen Integration. Heute ist die Welt komplizierter, müssen die außen- und sicherheitspolitischen Antworten der deutschen Politik flexibler und offener ausfallen, ohne im Kern unberechenbar zu sein. Die Nato hat vor einem Jahr ihr strategisches Konzept der Zeit angepasst, und es verlangt von Deutschland und seiner Bundeswehr die Bereitschaft zu Frieden schaffenden und sichernden Einsätzen auch außerhalb des Bündnisgebiets. Der Kosovo-Krieg hat den Europäern die erschreckende Abhängigkeit von den USA vor Augen geführt und den Willen gefördert, eine europäische Streitmacht aufzubauen.

Dazu bedarf es erheblicher Investitionen. Die Haushaltslage aber ist angespannt und in Zeiten knapper Sozialbudgets ist es unrealistisch zu erwarten, dass allein der Verteidigungsminister nicht sparen muss. Folglich bleibt - und die tagenden Kommissionen weisen in die Richtung - nichts anderes übrig, als die Bundeswehr um ein Drittel, auf 200 000 bis 240 000 Soldaten, zu verkleinern. Weniger wird mehr sein. Den sicherheitspolitischen Interessen des Landes in der überschaubaren Zukunft wird eine modern ausgerüstete Bundeswehr dieser Größenordnung besser gerecht. Ist in einer solchen Armee aber noch Platz für die Wehrpflicht? Wohl kaum. Gegenwärtig unterbieten sich Politiker aller Parteien mit Angaben zur künftigen Dauer der Wehrpflicht (Untergrenze derzeit fünf Monate) und allerlei Hilfsargumenten zu ihrer Erhaltung. Viele sind gut und richtig. Die wirtschaftliche Not bei Standortaufgaben etwa oder die Warnung, es würden künftig vorwiegend dumpfe Skinheads zur Bundeswehr finden. Die Frage, wer die Aufgaben des Zivildienstes übernimmt, sollte die Wehrpflicht fallen, ist ungeklärt. Und bleibt die Wehrpflicht, werden dann auch Frauen eingezogen oder dürfen sie nur als Zeit- und Berufssoldaten arbeiten?

Statt verkrampft an Bewährtem festzuhalten, dessen Zeit abgelaufen ist, wäre es sinnvoll zu bekennen: Mit einer Berufsarmee wird Deutschland auf absehbare Zeit den Spagat zwischen Haushaltszwang und Sicherheitsinteresse am ehesten bewältigen können. Eine Rücknahme der Wehrpflicht in einem Zwischenschritt erscheint sinnvoll, um eine polarisierende Diskussion zu vermeiden und überlegen zu können, wie man die sattsam bekannten Nachteile einer Berufsarmee minimiert.

http://www.dfg-vk.de/bundeswehr/wehr040.htm



8. Jugendarbeitslosigkeit: Sofortprogramm eingemottet

"Das ist ein Armutszeugnis für unsere Bundeswehr"


Damit hatte der Obergefreite Michael U. aus Berlin nicht gerechnet, ab September sitzt er auf der Straße. Genau 15 Tage vor seinem Ausscheiden aus der Bundeswehr hat der junge Kaufmann erfahren, dass aus seiner geplanten zivilberuflichen Qualifizierung bei der Bundeswehr nichts wird.

Damit hatte der Obergefreite Michael U. aus Berlin nicht gerechnet, ab September sitzt er auf der Straße. Genau 15 Tage vor seinem Ausscheiden aus der Bundeswehr hat der junge Kaufmann erfahren, dass aus seiner geplanten zivilberuflichen Qualifizierung bei der Bundeswehr nichts wird. Eigentlich sollte er ab dem 1. September als FWDL übernommen werden und am Sofortprogramm der Bundesregierung zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit teilnehmen. Hieran beteiligt sich auch die Bundeswehr. Michael U. hat nach der Realschule eine kaufmännische Ausbildung absolviert, nach deren Ende jedoch nur einen Zeitvertrag bei seinem Ausbildungsbetrieb erhalten. Dieser Vertrag ist inzwischen ausgelaufen, das bedeutet nach dem Bund Arbeitslosigkeit!

Das Sofortprogramm kam deshalb für den jungen Berliner wie gerufen, er hatte bereits eine mündliche Zusage, dass alles klappe.Mit der vorgesehenen Weiterbildung in kaufmännischer SAP hätte er wesentlich bessere Berufsaussichten gehabt. Statt dessen steht er jetzt auf der Straße, vor dem sozialen Aus.

Michael U.: "Ich dachte, das Ganze sei ein schlechter Scherz, es ist aber leider traurige Realität." Mit Weisung des Staatssekretärs Dr. Wichert vom 29. Juli wurde die Beteiligung der Bundeswehr am Sofortprogramm der Bundesregierung zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit mit sofortiger Wirkung außer Kraft gesetzt. FWDL, die bereits am Sofortprogramm teilnehmen, bleiben so lange im Dienst, wie die theoretischen und praktischen Anteile der zivilberuflichen Qualifizierung auf der Grundlage der Bewilligungsbescheide des Berufsförderungsdienstes abgeschlossen sind oder wegen Erhalt eines Arbeitsplatzes vorzeitig ausscheiden. Soldaten, die bereits einen Bewilligungsbescheid für die Teilnahme an einer Maßnahme des Sofortprogramms erhalten haben, aber noch nicht am Sofortprogramm teilnehmen, können, falls die erforderliche Mindestteilnehmerzahl erreicht wird, die Qualifizierung zu Ende führen. Zusätzliche Bewilligungen zur Teilnahme an Maßnahmen des Sofortprogramms werden nicht mehr erteilt und entsprechende Verlängerungen des Wehrdienstes erfolgen nicht mehr.

Persönliches Anliegen

Bereits unmittelbar nach seinem Amtsantritt wurde deutlich, so "Truppenpraxis" in der Juni-Ausgabe, dass Bundesminister Scharping der Aus- und Fortbildung einen hohen Stellenwert beimisst. Es war dann auch sein persönliches Anliegen, dass sich die Bundeswehr am Sofortprogramm beteiligt. Schon einen Monat nach dieser Veröffentlichung steigt das Verteidigungsministerium "wegen der schwierigen Haushaltssituation" schon wieder aus. Mit dem Programm sollte 5000 Jugendlichen die Möglichkeit gegeben werden, im Anschluss an ihren Grundwehrdienst bis zu zwölf Monate länger im Dienst zu bleiben und sich in dieser Zeit zivilberuflich qualifizieren. Es sind jetzt nur 1900 geworden, die an diesem Programm teilgenommen haben oder zumindest ihre Weiterbildung zu Ende führen dürfen.

Hohe Akzeptanz

Die Akzeptanz der Wehrpflichtigen, an Qualifizierungsmaßnahmen im Rahmen der Beteiligung der Bundeswehr am Sofortprogramm der Bundesregierung zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit teilzunehmen, war bisher erfreulich hoch. So schrieb es jedenfalls "Truppenpraxis". Dies galt vor allem für die Wehrpflichtigen aus den neuen Bundesländern, in denen die höchsten Arbeitslosenquoten zu verzeichnen sind.

Der stellvertretende Bundesvorsitzende des DBwV, Wolfgang Ostermeier, hat deshalb das Vorgehen der Hardthöhe in einer Pressemitteilung als eklatanten Vertrauensbruch gegenüber den betroffenen Menschen und als Armutszeugnis für die Bundeswehr bezeichnet. Ein betroffener Soldat meinte: "Bundesminister Scharping übt die Schritte der Echternacher Prozession, drei Schritte vorwärts, zwei Schritte zurück. Beim Dreierschritt stolpert er leider noch."   dal.

Deutscher Bundeswehrverband   http://www.dbwv.de/thema3-0999.htm


9. Für die Grünen ist Wehrpflicht nicht bezahlbar
Von Wolfgang Proissl, Berlin
Nur die Abschaffung der Wehrpflicht kann nach Ansicht von Militärexperten die mittelfristige Finanzplanung von Finanzminister Hans Eichel einhalten. Wenn die Truppenstärke um 140.000 Mann sinkt, ist die Modernisierung der Streitkräfte möglich.
Der Streit um die Bundeswehr spitzt sich innerhalb der Bundesregierung zu. Außenminister Joschka Fischer liegt ein vertrauliches Papier von Militärexperten vor, das den Verteidigungshaushalt für die Bundeswehr abhängig von ihrer künftigen Truppenstärke errechnet.

Ergebnis: Nur wenn die Wehrpflicht abgeschafft wird und die Truppenstärke von heute 340.000 auf 200.000 Soldaten sinkt, kann das Verteidigungsministerium die Streitkräfte modernisieren und gleichzeitig die Sparvorgaben der mittelfristigen Finanzplanung von Finanzminister Hans Eichel einhalten.

Widerspruch zur SPD

Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen wird diese Position Anfang Mai als Forderung übernehmen. Damit stellt sich der Koalitionspartner in krassen Widerspruch zur Mehrheit in der SPD, vor allem zu Verteidigungsminister Rudolf Scharping.

Dessen Beamte arbeiten an einer Bundeswehrplanung, die eine Wehrpflichtarmee mit rund 290.000 Soldaten vorsieht. Nach den Fischer vorliegenden Berechnungen wäre dafür ein Wehretat von 55,5 bis 57,5 Mrd. DM pro Jahr nötig – über 10 Mrd. DM mehr, als Eichels Etatplanung vorsieht.

Scharpings Pläne sollen etwa zeitgleich mit den Empfehlungen der Wehrstrukturkommission vorgelegt werden, die am 23. Mai eine Verkleinerung der Bundeswehr auf 240.000 Soldaten und eine Reduzierung der Zahl der Wehrpflichtigen von 130.000 auf 30.000 vorschlagen wird.

Der koalitionsinterne Streit konzentriert sich auf die Abschaffung der Wehrpflicht. Nach Fischer ist auch Umweltminister Jürgen Trittin für ein Ende der Wehrpflicht, weil der Dienst heute "nicht mehr bezahlbar" sei. Das Fischer vorliegende Positionspapier argumentiert, die Verpflichtungen in Nato und EU zwängen die Bundeswehr in den nächsten 10 bis 15 Jahren zu Investitionen von 120 bis 150 Mrd. DM. Das sei nur aus dem Verteidigungshaushalt zu finanzieren, wenn die Wehrpflicht abgeschafft und durch eine geringere Truppengröße Kosten gespart werden.

Die Kommission stützt diese Argumentation. Ihr Vorschlag, der von 240.000 Soldaten, ausgeht, davon 30.000 Wehrpflichtige, würde mehr kosten, als die mittelfristige Finanzplanung vorsieht.

© 2000 Financial Times Deutschland   http://www.ftd.de/pw/de/FTD956691979625.html

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