USA - WELTMACHT
READER für die 1. Klausur
Pol Gk Behn (Schj. 02/03)


1. USA Selbstdarstellung
----- Vize-Präsident Cheney zum Irak (Kleiner Einblick in die USA-Denkweise)

2. USA Analyse von außen
2.1 Gut und Böse auf amerikanisch
2.2. Die Seele Amerikas
2.3. USA aus arabischer Sicht
2.4. Gefühlslage im Vergleich: Deutschland - USA
2.5. Auch Tony Blair Fürchtet amerikanische Alleingänge

3. Aktuelle Themen
3.1. NATO - Wandlung der Bedeutung der NATO
3.2. Irak - Ein Blick auf das Gefährdungspotential
3.3. Europäische Außenminister greifen Bushs Politik an

3.4. Internationaler Strafgerichtshof
--- 3.4.1. Definition
--- 3.4.2. Privilegien für US-Soldaten

Was nicht aufgenommen wurde: Rückblick auf den Golfkrieg ( ggf. als Referat) / Klimakonferenzen Johannesburg, Kyoto


1. USA Selbstdarstellung Vize-Präsident Cheney zum Irak (Kleiner Einblick in die USA-Denkweise)

"Die Iraker werden bei Saddams Sturz jubeln"
US-Vizepräsident Cheney hält Angriff auf den Irak für "zwingend erforderlich" und kritisiert Vorbehalte als "Blindheit"
Nashville - Im Konflikt zwischen den USA und dem Irak sprechen beide Seiten immer offener von Krieg. US-Vizepräsident Richard "Dick" Cheney sagte vor Kriegsveteranen in Nashville (US-Bundesstaat Tennessee), eine "Politik der Untätigkeit" hätte folgenschwere Konsequenzen für die USA und andere Staaten. Ein "präventives Handeln" gegen Irak sei "zwingend erforderlich". Vorbehalte gegen einen Militäreinsatz kritisierte er als "Blindheit" angesichts einer "tödlichen Bedrohung", sagte Cheney und lieferte damit das bisher deutlichste Plädoyer der US-Regierung für eine Militäraktion gegen Saddam Hussein ab.

Der irakische Staatschef besitze Massenvernichtungswaffen und lehne ein "funktionsfähiges Inspektionssystem" ab, warnte Cheney. "Das Risiko eines Nicht-Eingreifens ist bei weitem höher als das eines Eingreifens." Man dürfe nicht mutwillig die Augen verschließen und sich in Wunschdenken ergehen, sagte der Vizepräsident. Die irakische Bevölkerung werde bei Saddams Sturz jubeln.

"Die ganze Welt muss wissen, dass wir alles unternehmen, was notwendig ist, um unsere Freiheit und unsere Sicherheit zu verteidigen", sagte Cheney. Im Zweifelsfall dürfe nicht gewartet werden, bis Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen in die Hände von Terroristen fielen. "Wir werden nicht einfach wegsschauen, das Beste hoffen und das Problem einer künftigen Regierung überlassen." Die USA würden "nicht auf die Gnade von Terroristen oder Terrorregimen angewiesen sein".

Mit seinem Plädoyer für eine Invasion im Irak, dessen Inhalt US-Präsident George W. Bush ausdrücklich absegnete, reagierte Cheney auf wachsende Besorgnis in der amerikanischen Öffentlichkeit wegen unkalkulierbarer Risiken eines Angriffs. Der konservative Publizist William Kristol meinte sogar, die Debatte innerhalb der Regierung über das Vorgehen gegen Saddam Hussein sei "vorbei". Mit Cheneys Rede beginne "die ernsthafte öffentliche Kampagne" für den Krieg. In der Tat ließ der Vizepräsident so gut wie keinen Spielraum für Alternativen zum militärischen Vorgehen: Die Bemühungen um neue UN-Waffeninspektionen verwarf er als Zeitverschwendung, und Sorgen um einen möglichen Flächenbrand im Nahen Osten nannte er unbegründet.

Abgeordnete und Senatoren appellierten dennoch an Bush, vor einem Krieg die Zustimmung des Kongresses zu suchen. "Wenn der Präsident diese Nation auf einen Krieg verpflichten will, sollte er besser die Unterstützung des Kongresses und des amerikanischen Volks haben", sagte der republikanische Senator Chuck Hagel. Der Justitiar des Weißen Hauses, Al Gonzales, hat Bush bescheinigt, dass er für einen Krieg gegen den Irak nicht unbedingt die explizite Zustimmung des Parlaments brauche (siehe WELT vom 27. August). Nach dem War Powers Act aus der Zeit des Vietnamkriegs muss der Präsident die Zustimmung des Kongresses einholen, wenn er die US-Streitkräfte in einen Krieg führt, der länger als 60 Tage dauert.

Saddam Hussein scheint hingegen in einer neuen "Charmeoffensive" auf die Überzeugungskraft des Geldes zu setzen. Einigen afrikanischen Staaten sollen die Iraker nach arabischen Presseberichten Bargeld angeboten haben, wenn sie amerikanischen Soldaten die Nutzung ihres Territoriums und ihrer Häfen verwehren. Nachdem der Irak mit Russland vor einigen Tagen Wirtschaftsprojekte im Umfang von etwa 40 Milliarden Euro vereinbart hat, sucht der irakische Handelsminister Mohammed Mahdi Saleh derzeit in der Türkei Kooperationspartner für Projekte in den Bereichen Landwirtschaft, Erdöl und -gas sowie Verkehr und Gesundheit. Iraks Außenminister Nadschi Sabri bemühte sich in Peking um Unterstützung. China unterhält als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates gute Beziehungen zu Bagdad und lehnt einen Militäreinsatz gegen Irak strikt ab.

Das Versprechen Cheneys, mit amerikanischer Hilfe könne ein befreiter Irak wieder eine große Nation werden, stößt in der arabischen Welt auf wenig Resonanz. Zeitungskommentatoren von Dubai bis Ägypten werfen den Amerikanern vielmehr vor, das genaue Gegenteil anzustreben, nämlich die amerikanische Kontrolle über das ölreiche Land zwischen Euphrat und Tigris. Der ägyptische Präsident Husni Mubarak warnte in einer Fernsehansprache vor dem "Zorn der arabischen Straße" und erklärte, kein arabisches Land wolle einen Angriff auf den Irak. DW

DIE WELT, Erscheinungsdatum: 28. 08. 2002


2. USA Analyse
2.1 "Gut und Böse" auf amerikanisch - Ein Kommentar

Seit 1990, nach dem Zerfall der Sowjetunion, zeichnet sich deutlich eine Epoche amerikanischer Hegemonie ab. Sie begann am Golf, führte über den Balkan nach Afghanistan und gewinnt durch den Kampf gegen den Terrorismus zunehmend an Dynamik. Zentralasien mit seinen Öl- und Gas-Ressourcen liegt nun im Blickpunkt amerikanischer Außenpolitik.
USA und Usbekistan verhandelten über die Stationierung von 3 000 US-Soldaten und 60 Jagdflugzeugen für die Dauer von 25 Jahren. In Kirgistan sind 3 000 amerikanische Soldaten stationiert.
Das alles ohne Rücksicht auf Russland und China, die traditionell Zentralasien als ihren Hinterhof ansehen. Unter dem Motto „Kampf gegen den Terrorismus" richtete US-Präsident Bush in seiner Rede zur Lage der Nation den Blick auf Irak, Iran und Nordkorea, die er alttestamentarisch als Achse des Bösen bezeichnete. Natürlich sind die Amerikaner die Guten (God bless America), die immer im Recht sind und die daher die moralische und selbstlose Verpflichtung als Befreier, Erlöser und Kreuzritter haben, die Welt von den „Schurkenstaaten" zu befreien.
Bush sprach von „Zehntausenden von Terroristen", die gleich tickenden Zeitbomben, über die ganze Welt verstreut seien – stets bereit, die Amerikaner ins Herz zu treffen. Afghanistan sei nur der Anfang gewesen, der Krieg gegen den Terrorismus gehe weiter und neue Konflikte werden folgen. Nicht nur die Terroristen seien die Feinde, auch die Regime, die sie schützen und fördern. Im Fadenkreuz amerikanischer Militärs liegen daher auch Somalia, Jemen und der Sudan, die für die USA als Tummelplatz von Terrorgruppen und islamistischen Bewegungen gelten.
Der Flottenaufmarsch am Horn von Afrika, an dem auch die Deutsche Marine beteiligt ist, dient nicht allein dem Ziel, arabisch-afrikanische Fluchtwege der Al-Qaida zu unterbinden. Ähnlich verhält es sich auch mit der Verlegung deutscher ABC-Abwehrtruppen nach Kuwait, d.h. an die Grenze zum Irak.
Islamistischen Terror haben die Amerikaner außer im Kaschmir auch in Malaysia, auf Sri Lanka, in Indonesien und vor allem auf den Philippinen ausgemacht, wo amerikanische Truppen bereits Fuß gefaßt haben und die dortigen Streitkräfte im Kampf gegen den Terror schulen. Angesichts dieses globalen militärischen Engagements der Weltmacht Amerika läßt sich der Verdacht nicht umgehen, dass Amerika dabei ist, die „One World" einzurichten; also alle Völker und Kulturen gleichzuschalten und sie ganz unter der Hegemonie der USA mit dem säkularisierten Missionsprogramm „American way of life" zu „beglücken".
US-Präsident Bush mobilisiert als Weltpolizist daher weltweit die „Guten" gegen die „Bösen". Neutrale gibt es für Amerika nicht. Die Bösen sind insbesondere jene Länder, die es immer noch wagen, andere Vorstellungen und ein anderes Kulturverständnis als die amerikanische Heilslehre zu besitzen. (ds)

Quelle: http://www.sipotec.net/IAP_Aktuell/S_03_02_03.html (Report-Verlag für Sicherheit und Technik) März 02


2. USA Analyse
2.2 Die Seele Amerikas - Hintergründe der US-Reaktionen auf den Terror

Der bekannte deutsche Amerikanist Prof. Berndt Ostendorf vom Amerika-Institut der Universität München nimmt in seinem jüngsten Text zur öffentlichen Reaktion in den Vereinigten Staaten auf die verheerenden Terroranschläge in New York und Washington Stellung, wobei die Rufe nach Rache und Vergeltung immer mehr die Trauer und das Entsetzen übertönen.

Ostendorfs sechs Erklärungsversuche weisen deutlich auf die historisch unterschiedlich gewachsenen Rechtsvorstellungen und religiösen Kulturen in den USA und Europa hin. Gleichzeitig warnt Ostendorf den globalen Hegemon USA, zu meinen, dass die Situation ohne Lösung der tatsächlichen strukturellen globalen Probleme zu bereinigen sei.


Die Versuchungen der Rache: Die USA und das lex talionis

Der Ruf nach sofortiger Vergeltung für die schrecklichen Untaten islamisch-religiöser Extremisten, der zurzeit in amerikanischen Umfragen, in der politischen Klasse und in den Medien laut wird, wirft die Frage auf, warum dort der Rachegedanke, das lex talionis, so populär ist.

Seine Popularität lässt sich am einfachsten plausibel machen, wenn man die der Todesstrafe miterklärt. Denn unter den westlichen Demokratien halten allein die USA mehrheitlich an der Todesstrafe und am Glauben an ihre Wirksamkeit fest. Es lassen sich sechs Gründe bündeln, die die historisch gewachsenen Eigenarten der amerikanischen politischen Kultur deutlicher machen.


USA: "Nation mit der Seele einer Kirche"

Erstens: Die USA sind, wie es der englische Kriminalautor Gilbert Keith Chesterton formulierte, eine "Nation mit der Seele einer Kirche". Die theokratische Gründungsideologie des puritanischen Protestantismus stand dem Alten Testament näher. Etwas vereinfachend kann man sagen, dass die USA stärker vom Alten Testament und seinem lex talionis geprägt wurden, die europäischen vom Neuen Testament - eine unterschiedliche Grundhaltung, die sich bis in die Gestaltung der Außenpolitik nachweisen lässt.

Dies mag auch eine gewisse Symbiose der amerikanischen Christen, vor allem der fundamentalistischen, mit Israel unter dem Motto der "Judaeo-Christian tradition" erklären, ein brüderlicher, durch den Holocaust verstärkter Schulterschluss, der den Islam außen vor lässt. Diese Wahlverwandtschaft verführt zur Konstruktion eines tiefen Grabens zwischen den Welten des Okzident und Orient bzw. eines Kampfes der Kulturen.


Personalisierung von Übel und Gefahren

Zweitens: Schuld und Schuldfähigkeit wird in den USA in der Regel beim Individuum gesucht, nicht so sehr in den gesellschaftlichen Umständen und noch weniger in einer wirtschaftlichen Randständigkeit der Täter. Da alle Freiheitsrechte im Individuum verankert sind, wird dieses auch stärker in die Verantwortung genommen, nach Maßgabe des alten puritanischen Spruchs: "Wem viel gegeben wurde, von dem wird viel verlangt."

Dies mag erklären, warum man selbst die Gefahr eines global verbreiteten, inzwischen kollektiven Extremismus am liebsten auf eine Person, in diesem Fall Osama bin Laden, reduziert hätte und damit das Übel personifizierbar und figurierbar macht (wie vordem anhand von Saddam Hussein oder Muammar Ghaddafi).

Dabei sollte jedem klar sein, dass auch die Eliminierung von Bin Laden das Problem des Extremismus kaum lösen wird. Auch das Wort vom Schurkenstaat transportiert eine latente Personifizierung.


Clash of Civilizations: Gut gegen Böse

Drittens: Diese populäre, basisdemokratische Theologie des Individuums geht von einer manichäischen Einteilung zwischen Recht und Unrecht oder Gut und Böse aus. So genannte "killer- oppositions" sind in den Diskursen der amerikanischen Politik sehr populär: gute christliche Demokratie vs. böser islamischer Schurkenstaat, Jihad vs. McWorld, unschuldig oder schuldig.

Es gibt in dieser Vorstellung zwischen Gut und Böse kaum eine moralisch-mittlere Position. Auf Stoßstangen der Patrioten steht daher: America love it or leave it. Außenpolitisch kam diese zwanghafte Vorstellung in dem viel zitierten Aufsatz von Samuel Huntington zum Ausdruck, dessen Denkfigur eines "clash of civilizations" durch die Geschehnisse in New York den Charakter einer self-fulfilling prophecy erhalten hat, an deren Bestätigung auch die islamischen Extremisten nur zu gerne mitarbeiten.

Zudem ist diese Denkfigur für den neuen Soundbyte- Journalismus ideal. Denn solches "Übel" lässt sich medial am besten mit tanzenden Palästinenserkindern, die vom Leid der Amerikaner ihre orientalische Energie schöpfen, dramatisch inszenieren. Der Sender Pro 7 hat diese Bilder sicher an die 20 Mal gesendet und sich jede vertiefte Analyse dieser Situation durch den Orientalisten Prof. El-Aouni (FU Berlin) verbeten.

Basisdemokratie verlangt nach Rache

Viertens: Es kommt in solchen Krisenmomenten die Tradition der populistischen Graswurzeldemokratie zum Tragen. Man könnte polemisch sagen: Amerika ist populärdemokratischer als Europa - und zwar in dem Sinne, dass der populistische Volkswille energischer in politische Praxis und in die Wahl politischer Ämter umgesetzt wird als bei uns. Wenn also 85 Prozent der Amerikaner nach Rache rufen, kann Bush diesen Wählerauftrag nicht ignorieren.

Was die Popularität der Todesstrafe betrifft, so ist es wichtig, dass die Entscheidung darüber in der Verfügung der Einzelstaaten liegt, also eine Funktion der Regionalpolitik bleibt. Es gibt in bestimmten Regionen Amerikas eine Mehrheit für die Todesstrafe und damit für Rache, und diese Mehrheit scheint in den letzten 20 Jahren, vor allem seit dem 11. September, gewachsen zu sein. Also konnten es sich Kandidaten für den Gouverneursposten selbst in einem liberalen Staate wie New York nicht mehr leisten, ein Veto gegen die Todesstrafe einzulegen. Cuomo hatte das mehrfach getan und dann prompt die Wiederwahl gegen Pataki verloren.

Allerdings: Auch in Deutschland könnte man bei einem Referendum zur Frage, ob man Kinderschänder aufhängen sollte, mit einer Mehrheit rechnen, die aber in unserem bestehenden politischen und juristischen System nicht umsetzbar wäre. Deutschland ist maßgeblich vom Trauma des staatlichen Verbrechens gegen die Menschenwürde durch den Nationalsozialismus geprägt und hat seine politischen Institutionen daher stärker gegen die Todesstrafe und auch gegen Rachegedanken immunisiert. Amerikanische Patrioten haben dieses Trauma nicht, sondern glauben zur Verteidigung des amerikanischen "Paradieses" selbst extreme Maßnahmen ergreifen zu müssen.


Fundamentalistischer Rechtsruck seit Reagan

Fünftens: Seit Reagan hat ein religiös und fundamentalistisch motivierter Rechtsruck stattgefunden. Man kann von einer "Versüdstaatlichung" des Rechtsempfindens und daher als Konsequenz von einer Fundamentalisierung der Politik, auch der Justiz, sprechen. Dahinter steckt ein Sieg der neuen christlichen Rechten beim Marsch durch die Institutionen, der in den siebziger Jahren unter Nixon begann und mit großem Erfolg vor allem in den Südstaaten vervollständigt werden konnte.

Die Wahl von Bush junior bestätigt einen Trend, der auch nicht von Clinton durchbrochen wurde. Auch Clinton konnte es sich als Gouverneur eines Südstaates nicht leisten, den Volkswillen zu ignorieren. Er hat das Todesurteil eines geistig Behinderten unterzeichnet. Dieses fundamentalisierte, manichäische Rechtsdenken hat auch den politischen Handlungsrahmen eingeengt, den alttestamentarischen Rachegedanken gestärkt und diesem ein zivilreligiöses Unterfutter gegeben.


Krise des Rechtssystems

Sechstens: Das amerikanische Rechtssystem und die globale Politik stecken in einer Krise. Das Rechtssystem ist in einer technisch-prozeduralen "Win or lose"-Ideologie erstarrt, wobei die Verurteilung mehr von der Beherrschung dieses Prozeduralismus und einem sozialdarwinistischen Heimvorteil in der Beschaffung juristischen Beistands abhängig ist als von der Schuldfrage (cf. O.J. Simpson).

Richard A. Posner schreibt in "How American justice has failed" ("Times Literary Supplement", 26.2.1999): Es lohnt sich also für Schuldige reich zu sein, und er meint, dass eine schuldige, aber reiche Person vor einem amerikanischen Gericht eher mit einem Freispruch und ein schuldiger Armer vor einem europäischen Gericht eher mit Milde rechnen kann. Diese "Win or lose"- Ideologie, die für das Rechtsempfinden prägend ist, stellt leider auch den Resonanzboden der politischen Entscheidungsprozesse dar.

Zur Zeit des kalten Krieges konnte sich die amerikanische Politik im stabilen System der Killeroppositionen blendend entfalten. Wir erinnern uns an Reagans Wort vom evil empire. In einer unipolaren, globalisierenden, instabilen Welt wird es schwerer fallen, einen oder mehrere Feinde nach altem Schema klar im Visier auszumachen, es sei denn man konstruiert sich einen.


Nachhaltige Wirkungen

Zusammen zeigen diese sechs Faktoren ihre anhaltende juristische und politische Wirkung, obwohl der achte Zusatz zur Verfassung seit 1791 eine "grausame und ungewöhnliche Bestrafung" verbietet. Hierzu gab es 1972 eine Entscheidung des obersten Verfassungsgerichts, das zwar die Todesstrafe nicht grundsätzlich in Frage stellte, aber eine gewisse Willkür in der Handhabung der Todesstrafe bemängelte, die dann von den Einzelstaaten "korrigiert" wurde.

Daher gibt es seit 1977 wieder die Vollstreckung der Todesstrafe (gerade auch im Heimatstaat Texas des derzeitigen Präsidenten) - und das, obwohl feststeht, dass sie so gut wie keine abschreckende Funktion hat. Mit einer Inhaftierungsquote von 650 Häftlingen auf 100.000 Einwohner (im Gegensatz zur deutschen Quote von 85/100.000) sind die amerikanischen Gefängnisse so voll, dass viele Staaten sich gezwungen sehen, ein "outsourcing" des Strafvollzugs, also die Rache des Staates, in den privaten Sektor vorzunehmen.


Märtyrer - so oder so

Islamische Extremisten, so sie dingfest gemacht werden, was zu hoffen ist, können wie Timothy McVeigh mit der vollen Härte des amerikanischen Rechtssystems rechnen. Auch das passt ins manichäische Bild vom Kampf der Kulturen: Sie wollten so oder so Märtyrer werden.

Die Politik des globalen Hegemon USA sollte sich jedoch andere Lösungen suchen und versuchen, den strukturellen Ursachen des Extremismus auf den Grund zu gehen, um diese zusammen mit den NATO-Verbündeten zu beseitigen.

Berndt Ostendorf, TAZ, 17. September 2001


2. USA Analyse
2.3 USA aus arabischer Sicht

Amerika wird keinen Schutz finden, selbst wenn es ins All flüchtet

Dokumentation eines Gesprächs dreier saudi-arabischer Scheichs im Fernsehsender Al Dschasira über das Königshaus, die USA und Bin Laden

Am 10. Juli interviewte der Fernsehsender Al Dschasira drei saudi-arabische Scheichs, die alle langjährige Gefängnisstrafen verbüßen für ihre Kritik am saudi-arabischen Regime. Mohsin Al-Awaji war Imam der Großen Moschee an der König-Saud-Universität in Al-Riyadh, Safar Al-Hawali führt die Opposition gegen die militärische Präsenz der USA auf der arabischen Halbinsel, und Muhammad Al-Khasif kommt aus der Stadt Buraydah, bekannt als konservatives Zentrum der Wahhabiter. DIE WELT veröffentlicht das Gespräch in Auszügen, weil die Aussagen der einflussreichen Scheichs viel über das Verhältnis der saudi-arabischen Bevölkerung zum Westen und zu den Vereinigten Staaten verrät.

Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und den USA

Scheich Dr. Safar Al-Hawali: "Die Beziehungen zwischen Amerika und uns sind Beziehungen zwischen zwei sehr unterschiedlichen Nationen: Da ist eine Nation, die von Allah auserwählt wurde, der sie geprüft hat und mit Katastrophen geläutert, damit sie für ihre Sünden büßt. Allah nutzt diese Nation, um auf der Erde die Fahne von Wahrheit und Gerechtigkeit hochzuhalten. Und dann gibt es eine tyrannische und böse Nation, die Allah ohne ihr Wissen manipuliert, bis sie das Ende ereilt, zu dem sie verurteilt ist - das gleiche Ende, dass das Los all der Nationen der Irrlehre, Tyrannei und Aggression war."

"Seit dem Zweiten Weltkrieg ist Amerika keine demokratische Republik mehr; es ist zu einem Militärreich nach römischem Modell geworden. Es ist sogar noch abscheulicher, weil seine Regierung von den gefährlichsten Interessengruppen beherrscht wird - von Unternehmen, die Zerstörung stiften und Waffen verkaufen. Ohne zu zögern, tritt Amerika überall in der Welt in den Krieg - es sei denn, der Nutzen eines solchen Krieges scheint ihm seinen unstillbaren Appetit nicht zu befriedigen. Dann verlangt es nach einer Art Frieden, der es amerikanischen Unternehmen erlaubt, profitable Verträge abzuschließen. So sucht Amerika immer einen Feind - und wenn es keinen findet, erschafft es einen und bläst ihn mit seinen schrecklichen Medien auf, um sein Volk zu überzeugen, dass der von ihm erklärte Krieg notwendig ist (und) einer gerechten Sache dient."

Bin Laden, Amerika und das saudi-arabische Volk

Scheich Al-Awaji: "In der Vergangenheit, als er in Afghanistan gegen die Russen kämpfte, war Bin Laden der größte Kämpfer im Dschihad - in den Augen des saudi-arabischen Volkes und in den Augen der saudi-arabischen Regierung. Er und die anderen gingen mit offizieller (saudi-arabischer) Unterstützung nach Afghanistan und mit der Unterstützung der Geistlichen. Jetzt haben die Saudis drei Beschwerden an Bin Laden. Erstens beschuldigt Bin Laden Geistliche und Herrscher der Irrlehre, auch wenn er keinen Beweis dafür hat. Zweitens macht er die moslemischen Länder zu einem Schauplatz von Dschihad-Einsätzen. Drittens haben er und seine Leute unschuldige Menschen zum Ziel, und damit meine ich die Unschuldigen auf der ganzen Welt, in jeder Religion und Hautfarbe, und in jeder Region.

Abgesehen von diesen drei Dingen, wird Bin Laden als Ehrenmann betrachtet, als ein Mann, der sich (der Vergnügungen) dieser Welt enthält, ein mutiger Mann und ein Mann, der an seine Prinzipien glaubt und Opfer (für sie) bringt."

Dschihad als strategische Waffe gegen die USA

"Wir sind stolz, dass wir nach ihrer Definition jemand sind, der Terror in die Herzen der Feinde Allahs und unserer Feinde trägt (nach einem Vers aus dem Koran), aber nicht nach der Definition, die sie (die Amerikaner) wollen. Die amerikanische Definition von Terror ist die, dass jeder, der sich den amerikanischen Interessen widersetzt, ein Terrorist ist."

"Wenn Amerika Interkontinentalraketen und Bomben hat, dann sind unsere Bomben die Kämpfer im Dschihad. Wir werden sie weiter entwickeln, denn wir betrachten sie als strategische Waffe."

Zukunft der saudi-arabisch-amerikanischen Beziehungen

Scheich Al-Hawili: "Amerika und seine Unterstützer sollten wissen, wenn es seine Hand ausstreckt, um das Land der zwei heiligen Stätten (Saudi-Arabien) anzugreifen, dann wird es keinen Schutz geben vor der Grausamkeit Gottes und der Vergeltung der Soldaten Allahs, den Mudschahedin. Es wird keinen Schutz finden, selbst wenn es ein Loch in den Boden gräbt oder ins All flüchtet."

"Wir verlangen, dass Amerika sich bei unserem Volk entschuldigt und verspricht, dass Erklärungen dieser Art (über Atombomben auf Mekka - diese Drohung hat es nie gegeben; d. Red.) nie wieder von irgendjemandem wiederholt werden, ob in der Regierung, im Kongress oder in den Medien. Wenn sie sich für den Pfad von Wahrheit und Gerechtigkeit entscheiden, werden sie niemand Gerechteres finden als uns. Doch wenn sie Unterdrückung und Aggression wählen, werden sie niemanden finden, der das Märtyrertum mehr liebt als wir, und niemanden, der bereitwilliger ist zu sterben - denn das ist die Hoffnung von jedem Mann in diesem Land."

Kampf gegen Amerika

Dr. Muhammad Al-Khasif: "Amerika erschafft sich seine eigenen Feinde. Ich gehöre zu denen, die in Amerika studiert haben, und ich bin den amerikanischen Bildungseinrichtungen dankbar. Ich hatte viele Freunde, und die Zeit in Amerika war eine gute Zeit in meinem Leben. Heute jedoch hasse ich Amerika und seine Politik. Ich sehe, wie es sich in die Souveränität meines Landes einmischt. Ich sehe, wie es mir Befehle erteilt, wie es in Afghanistan und Palästina mit der Unterstützung der Juden Kinder tötet. Von dieser Stelle aus sende ich eine Nachricht an die amerikanische Regierung: Wir werden gegen Amerika kämpfen, und wir werden die Mujahedin aufrufen, Amerika überall in der Welt zu bekriegen."

DIE WELT 22. 07. 2002


2. USA Analyse
2.4. Gefühlslage im Vergleich: Deutschland - USA

In den USA herrscht keineswegs Kriegshysterie
In Deutschland wie in Amerika sinkt die Glaubwürdigkeit von Politikern wie Regierungen. Stehen wir vor einem historischen Bruch der Beziehungen?

Eine vierwöchige Reise durch die Vereinigten Staaten führte mich in diesem Sommer von der Küste Massachusetts nach Michigan und Washington D.C. - eine gute Gelegenheit, die Stimmung im Land zu testen; eine Stimmung, auf der ein Gefühl von Bedrohung und Krise lastet.

Bei meiner Rückkehr nach Deutschland bot sich mir ein ähnliches Bild. Die Flutkatastrophe in weiten Teilen Ost- und Norddeutschlands und die Angst vor einem drohenden Krieg überlagern die drängenden Fragen nach Deutschlands wirtschaftlicher Zukunft. Ein Vergleich der Reaktionen beider Länder auf die aktuellen Bedrohungen gibt Aufschluss über den heutigen Zustand der deutsch-amerikanischen Beziehungen.

In Amerika sind die Auswirkungen der Anschläge vom 11. September noch deutlich zu spüren; am deutlichsten an den Flughäfen. Erhöhte Sicherheitskontrollen machen Flugreisen mit all dem, was dazugehört, sehr kompliziert. Die Bush-Regierung steht unter konstantem Druck, unter wesentlich höherem Druck als es in Europa den Anschein hat.

In Kürze steht eine wichtige Kongresswahl an und alle Anstrengungen, die Sicherheit im Land zu erhöhen, haben bislang keine Erfolge gezeitigt. Während der Kongress noch die Ausmaße gesteigerter Sicherheit diskutiert, murrt die Bevölkerung bereits. Einer der Gründe, die Debatte über den Irak jetzt zu führen, ist es, Stärke zu demonstrieren angesichts eines unsichtbaren Feindes.

Doch der Krieg gegen den Terrorismus erscheint einem fast leicht angesichts der wirtschaftlichen Probleme. Wirtschaftswissenschaftler und Kommentatoren suchen gleichermaßen nach Worten, um die gegenwärtige Lage zu beschreiben. Das Konsumverhalten der Menschen hat sich nicht verändert, aber das Vertrauen in die Börse ist offensichtlich geschwunden, und die Regierung wird beschuldigt, nicht die richtigen und notwendigen Schritte einzuleiten.

Alles in allem eine ähnliche Situation wie in Deutschland. Die Glaubwürdigkeit der Regierung und der Politiker sinkt. Wahrscheinlich liegt hierin eine wichtige Erkenntnis: Der Wandel hat ebenso wie die konstante Bedrohung, der wir uns ausgesetzt sehen, sicher nicht zu einem Bruch der Beziehungen zwischen Europa und den USA geführt. Wir erleben eher eine Krise der Politik und der Regierungen.

Wie sollen die US-Behörden zum Beispiel jeden einzelnen Container, der von Übersee nach Amerika verschickt wird, kontrollieren, wie allerorts gefordert wird? Die Antwort ist: Sie können es einfach nicht. Wie soll die deutsche Regierung den Herausforderungen einer dreifachen Revolution - Technologie, Wiedervereinigung und Generationswechsel - welche die traditionellen Grundfesten des Wohlstands in Europa erschüttert hat, entgegentreten und gerecht werden? Die Antwort lautet: Sie wird es nicht können.

Auf beiden Seiten des Atlantiks ist allein schon die Definition der Probleme schwierig, ganz zu schweigen von praktikablen Lösungsvorschlägen. Die Regierungen stehen vor unlösbaren Aufgaben. Frustration in den eigenen Reihen macht sich ebenso breit wie in der Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Partnern. Man muss sich nur die hitzigen Debatten innerhalb der Europäischen Union ansehen, um zu verstehen, dass es sich sicher nicht nur um einen deutsch-amerikanischen Konflikt handelt.

Verärgert beschuldigen wir die Regierenden, dass sie nicht in der Lage sind, die Erfolgsgeschichte der Nachkriegszeit zu wiederholen. Jetzt, da die Zeiten der Sicherheit und Stabilität in einem durch den Kalten Krieg vorgegebenen Weltgefüge vorbei sind, sehen sich die USA und Europa mit einer Wiederaufbau-Aufgabe konfrontiert, die jener der Nachkriegszeit in nichts nachsteht. Daher müssen wir heute neue Wege gehen, neue Lösungsansätze erarbeiten, neue Einrichtungen schaffen, um den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden.

Eine logische Folge solcher Herausforderungen ist, dass ihnen mit den Lehren der nahen Vergangenheit begegnet wird. Europa hat als eine Folge des Zweiten Weltkriegs gelernt, dass Nationalismus und Militarismus in die Katastrophe führen. Es ist daher wenig verwunderlich, dass Europa eine funktionierende Weltordnung als Ergebnis von Verhandlungen, Verträgen, Kooperation und Diplomatie definiert. Die Politik des Stärkeren wurde ersetzt durch Verträge und die Europäische Kommission; Militärmacht trat in den Hintergrund.

Andererseits ist es ebenso wenig verwunderlich, dass die USA ihren Partnern eindeutige Antworten abverlangen. Die Vereinigten Staaten sehen ihren Erfolg nicht als Ergebnis der Bildung von Kommissionen und Komitees. Aus ihrer Sicht wurde der Kalte Krieg gewonnen, weil Amerika Stärke demonstriert hat. Und ein so destruktiver terroristischer Angriff wie der vom 11. September erzeugt eine natürliche Bereitschaft zur Verteidigung.

Kommentatoren nutzen diese unterschiedlichsten Erklärungsszenarien, um einen historischen Bruch der Beziehungen zwischen Europa und den USA nachzuweisen. Ein solcher Ansatz ist nicht nur kurzsichtig, sondern auch unsinnig vor dem Hintergrund gelebter Realität.

Ich habe während meiner Reise die Erfahrung gemacht, dass es in den USA keineswegs eine Art Kriegshysterie gibt. Im Gegenteil: Es findet eine umfassende, kritische Debatte über dieses Thema statt. Einer ihrer wesentlichen Aspekte ist es, den vorhandenen breiten Konsens mit den Verbündeten zu erhalten. Deshalb auch sind Hegemonialbestrebungen in den USA nicht zu erkennen.

Was allerdings in der Tat dieser Tage in Amerika spürbar ist, sind starke Gefühle der Einheit und des Patriotismus. Fahnen und Poster als Ausdruck der Solidarität findet man überall. Selbst als Besucher fühlt man sich schnell von diesem Geist in den Bann gezogen. Aber eines ist offensichtlich: Dies ist kein Land, dass sich für den Krieg rüstet. Eher kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass man ein Land bereist, das nach seinen Werten und Wurzeln sucht.

Bei meiner Rückkehr nach Deutschland glaubte ich feststellen zu können, dass die Gedanken der Menschen von ähnlichen Gefühlen bestimmt sind. Studien der jüngsten Vergangenheit besagen, dass insbesondere die jüngere Generation sich auf nationale Werte beruft. Man mag es kaum glauben, aber die jungen Leute geben an, ihre Eltern zu mögen.

Die schrecklichen Bilder der Flut in Bayern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg haben eine Welle der Unterstützung und Solidarität erzeugt, die der, welche die Amerikaner nach dem 11. September 2001 erfasste, nicht unähnlich ist. Entgegen der Meinung mancher Politiker sind die Deutschen stolz auf ihr Land und nehmen Opfer in Kauf, damit es erfolgreich und bedeutend bleibt.

Ich frage mich, ob es nicht eher so ist, dass die Menschen bereits das leben, was in den "Führungsetagen" noch nicht oder nicht mehr auf der Agenda steht. Die gegenwärtig geführten Debatten spiegeln nicht im Geringsten die Gemeinsamkeiten wider, welche die Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks verbinden. Die Herausforderungen, die an uns alle gestellt werden, sind groß, und unterschiedliche Sichtweisen bei der Bewältigung der Probleme wird es auch weiterhin geben. Aber vor die Wahl gestellt, wird sich die überwältigende Mehrheit immer für den "vernünftigen" Weg entscheiden.

Die Definition von Alternativen setzt ein besseres Verständnis der Lebenswelten der Menschen voraus, Verständnis dafür, wie Gesellschaften tatsächlich funktionieren. Es sollte daher zur politischen Bildung kommender Politiker-Generationen gehören, die Wurzeln der Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks kennen und verstehen zu lernen.

John Kornblum war von 1997 bis 2000 US-Botschafter in Deutschland. DIE WELT 01. 09. 2002


2. USA Analyse
2.5. Auch Tony Blair Fürchtet amerikanische Alleingänge


Irgendwann wird sich Großbritannien zwischen Europa und Amerika entscheiden müssen

Die zunehmend angespannte Atmosphäre, die die transatlantischen Beziehungen in den letzten Monaten geprägt hat, zeigt wenige Zeichen der Besserung. Im Mai war Präsident Chirac eins von sieben europäischen Staatsoberhäuptern, die den „amerikanischen Unilateralismus“ angriffen. Das veranlasste Colin Powell zu der Beschwerde: „die Europäer finden immer Fehler“. Die lang erwartete Stellungnahme George Bushs zum Mittleren Osten, in der er eine entschieden proisraelische Linie darlegte, hat einzig dazu gedient, die Vorurteile auf beiden Seiten zu bestätigen. Wenn Europa und Amerika sich zerstreiten, gibt es nur wenige Gewinner, aber kaum jemand hat so viel zu verlieren wie Großbritannien.

Das Ende des Kalten Krieges hat die Dynamik der transatlantischen Beziehungen grundlegend verändert. In Abwesenheit einer bedeutenden territorialen Bedrohung sehen viele Europäer wenig Veranlassung die amerikanische Hegemonie als Preis für den Schutz der Amerikaner zu akzeptieren. Und ohne eine rivalisierende Supermacht scheinen die meisten Amerikaner nicht gewillt zu sein, in Europa viel Mühe zu investieren, um Köpfe und Herzen für sich zu gewinnen. Der besänftigende Charakter der Präsidentschaft Clintons überdeckte das Ausmaß dieses Wandels.

Die Bush-Administration verfolgt jetzt auf allen Ebenen eine aggressive „America First“-Politik. Kyoto war ein frühes Opfer der Entschlossenheit der amerikanischen Wirtschaft, die Umwelt ohne Einschränkung zu verschmutzen. Das Statut des internationalen Strafgerichtshofes wurde von einem Weißen Haus blockiert, das sich weigert, sich den Erfordernissen einer globalen Justiz unterzuordnen. Das Pentagon strebt den Übergang von militärischer Überlegenheit zu einer „Vormachtstellung auf allen Ebenen“ an, mit einem umfangreichen Waffenprogramm, das offen die Bewaffnung des Weltraums erwägt. Selbst beim Handel, wo die Republikaner traditionell eine Linie der Liberalisierung verfolgen, bewegt sich Bush mit Stahltarifen und neuen Agrarsubventionen in Richtung Protektionismus.

Diese Differenzen in der Politik sind zu groß, um als Teil der normalen Schwankungen transatlantischer Diplomatie abgetan zu werden. Vielmehr ergeben sie sich aus einem fundamentalen Unterschied der Perspektiven. Der Kern des Problems wurde kürzlich von einem der bevorzugten außenpolitischen Berater Blairs, Robert Cooper, in einem Aufsatz für das Londoner Zentrum für Außenpolitik hervorgehoben. Die Welt, so argumentierte er, könne in drei Kategorien unterteilt werden:

prämoderne Staaten, die zu schwach sind, um der Rechtsstaatlichkeit innerhalb ihrer eigenen Grenzen Geltung zu verschaffen; moderne Staaten, die ihre nationalen Interessen im klassischen europäischen Sinn des 19. Jahrhunderts verfolgen; und postmoderne Staaten, die die Machtpolitik aufgegeben haben und eine Linie von Integration und Systemen der gegenseitigen Einmischung bevorzugen.

Die Implikationen dieser Analyse sind umfassend. Großbritannien und der Rest der Europäischen Union gehören eindeutig zur postmodernen Welt. Das zeigt sich nicht nur in der Entwicklung zu einer politischen und wirtschaftlichen Integration Europas, sondern auch in der Bereitschaft von EU-Staaten, größere globale Probleme zu lösen, indem sie ihre Souveränität durch verbindliche Abkommen und die Entwicklung starker Institutionen einschränken.

Obwohl Cooper dies nur andeutet, sticht Amerika ebenso deutlich als ein archetypischer moderner Staat hervor, entschlossen seine Bewegungsfreiheit zu erhalten, indem er sich verbindlichen Verpflichtungen widersetzt. Der lange Rückzug des amerikanischen Liberalismus und die ideologische Übermacht des Neo-Konservatismus haben zu einer Außenpolitik geführt, die zunehmend eher auf dem Prinzip der Staatsräson beruht als auf den Regeln internationaler Gesetze. Amerikanern ist es beispielsweise nicht unangenehm, unter Androhung von Zwang das Recht zu verlangen, die chemischen und biologischen Einrichtungen von Kuba und dem Irak zu inspizieren, während sie gleichzeitig eine Kontrolleinrichtung für das Abkommen über biologische Waffen ablehnen, die amerikanische Einrichtungen für solche Untersuchungen zugänglich gemacht hätte.

Das Problem für Tony Blair ist es, dass es keinen dritten Weg zwischen diesen konkurrierenden Visionen einer Weltordnung gibt; die eine strebt aktiv das an, was die andere zu vermeiden entschlossen ist. Mit der Aussicht konfrontiert, dass seine transatlantische Brücke unter diesem Druck zusammenbrechen könnte, war es die Reaktion Blairs, seinen Standpunkt mit größerem Nachdruck geltend zu machen. „Sagen Sie Großbritannien nicht, dass es sich zwischen Europa und Amerika entscheiden soll“, warnte er vor kurzem in einem Interview für die „Times“ und zeigte damit die Nervosität eines Mannes, dem klar wird, dass es unvermeidlich wird, Entscheidungen zu fällen.

Blair ist erst der zweite überzeugte Proeuropäer im Amt des Premierministers, trotzdem hat er sich entschlossen, die Bedingungen der „besonderen Beziehung“ Großbritanniens mit Amerika restriktiver auszulegen als fast alle seine Vorgänger. Clement Atlee hatte keine Hemmungen, Präsident Truman vor dem Einsatz einer Atombombe in Korea zu warnen und angesichts amerikanischer Feindseligkeit mit Großbritanniens eigenem Atomprogramm fortzufahren. 20 Jahre später war Harold Wilson darauf vorbereitet, sich mit Lyndon B. Johnson zu überwerfen, indem er sich weigerte, britische Truppen nach Vietnam zu schicken. Im Gegensatz dazu ist Blair nicht bereit, in Washington Missfallen heraufzubeschwören.

Er hat bereits seine Bereitschaft dafür signalisiert, dass britische Einrichtungen als Teil des nationalen amerikanischen Raketenabwehrsystems genutzt werden, und es wird weithin erwartet, dass er britische Truppen für eine Bodeninvasion des Irak zur Verfügung stellt. In beiden Fällen scheint er bereit zu sein, die Opposition zu Hause und seine eigenen Bedenken außer Acht zu lassen um neben Amerika und nicht abseits zu stehen.

Dieses Paradoxon macht nur im Zusammenhang mit der Entschlossenheit von New Labour Sinn, die Fehler der alten Labour-Partei zu überkompensieren – nicht zuletzt den Eindruck, dass sie in der Verteidigung schwach sei. Blair ist vielleicht überzeugt vom Nutzen der europäisch-amerikanischen Partnerschaft, aber seinen Atlantizismus versteht man am besten als eine Funktion der Innenpolitik. Er sieht es als einen Lackmustest für die Eignung von Labour als Regierungspartei – selbst wenn das sonst niemand tut.

Tony Blair ist sich der Gefahren wohl bewusst, die der amerikanische Unilateralismus darstellt und, er versteht, dass Europa eine stärkere kollektive Stimme entwickeln muss, wenn man Washington erfolgreich wieder mit einbeziehen will. Er hat sich bei Themen wie Handel und Klimaveränderung fest an den europäischen Konsens gehalten und hat angesichts amerikanischer Bedenken die europäische Zusammenarbeit bei der Verteidigung vorwärts gebracht. Er bleibt außerdem fest entschlossen, dass Großbritannien dem Euro beitreten sollte. Bisher ist es ihm gelungen, all das ohne Turbulenzen in dieser „besonderen Beziehung“ zu erreichen.

Ob er diesen heiklen Balanceakt noch länger durchhalten kann, ist fraglich. Blairs Vision der Europäischen Union als „eine Supermacht, nicht ein Superstaat” ist keine, die den Prioritäten Washingtons entspricht. Wenn es ihm ernst ist, muss er auf die unbehagliche Möglichkeit vorbereitet sein, dass die transatlantischen Beziehungen sich verschlechtern müssen, bevor sie sich verbessern können.

Der Autor David Clark war politischer Berater des britischen Außenministers Robin Cook.DIE WELT 16. 07. 2002


3. Aktuelle Themen
3.1. NATO - Wandlung der Bedeutung der NATO

Abermals in einer Sinnkrise: Wohin treibt die NATO?

Nach dem Ende der bipolaren Welt befand sich die NATO in einer Sinnkrise. Aber auf ihrem Jubiläums-Gipfel 1999 in Washington vermochte sie sich noch einmal, strategisch und strukturell neu zu präsentieren. Doch seit dem 11. September 2001 können auch die üblichen Lobpreisungen und politischen Willensbekundungen nicht mehr davon ablenken, dass sich das Bündnis abermals in einer Sinnkrise befindet. Das Bündnis hat sich nämlich schleichend zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft entwickelt. Die erste Klasse besetzen die USA, in der zweiten folgen ihre europäischen Bündnispartner. Zwar hat die Allianz auf den 11. September gemäß Artikel 5 des NATO-Vertrages mit dem Bündnisfall reagiert, doch den USA diente das Bündnis nur noch als politisches Instrument für ihren Anti-Terror- Kampf. Die Amerikaner führten und führen ihren Krieg weitgehend allein.

An Entscheidungen ist das Bündnis ohnehin nicht beteiligt. Die Unterstützung ihrer Partner wählen sie individuell, nicht über das Bündnis aus. Nicht nur diese Usancen höhlen die NATO aus. Auch die sich immer rascher aufweisende technologische Kluft zwischen den USA und den Europäern läßt Amerika allein handeln, denn Europa taugt aus amerikanischer Sicht gerade noch für militärische Hilfsdienste.

Europa dagegen wirft den USA vor, die technologische Kluft zwischen beiden Seiten des Atlantiks zusätzlich durch Verweigerung des erforderlichen Technologietransfers zu vergrößern. Wie aber kann NATO-Europa die Kluft schließen, wenn Amerika die Sicherung von Pfründen seiner Rüstungsindustrie über Kooperation im Rüstungsbereich stellt, so lauten die europäischen Vorwürfe.

Die transatlantischen Dissonanzen offenbaren sich zunehmend auch inhaltlich. Europa sieht in der NATO immer noch vordringlich eine Garantiemacht für den Frieden auf dem Kontinent bzw. im euroatlanischen Raum. Von großem Interesse für Europa erscheint dabei die Zusammenarbeit mit Russland und die Aufnahme neuer Mitglieder. Ansonsten will man das Bündnis nicht mit Aufgaben und Missionen überfrachten.

Für Amerika jedoch gehen seit dem 11. September 2001 die sicherheits- und verteidigungspolitischen Konsequenzen weit über Europa hinaus. Sicherheit ist für die USA ein globales Anliegen, daher ist bei ihnen der Kampf gegen den Terrorismus und gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen global angelegt.

Der europäische Weg im Bündnis führt in Richtung OSZE und damit in ein unüberschaubares, schwammiges politisches Gebilde mit einer militärischen Komponente. Daran haben die USA aber kein Interesse. Zudem sind sie auf die militärischen Hilfsdienste der Europäer nicht angewiesen. Sie haben sich längst entschlossen, ihre globalen Interessen allein durchzusetzen. Darauf muss sich Europa einstellen. Die NATO könnte ein Auslaufmodell werden.


Quelle: http://www.sipotec.net/IAP_Aktuell/S_03_02_03.html (Report-Verlag für Sicherheit und Technik) März 02


3. Aktuelle Themen
3.2. Irak - Ein Blick auf das Gefährdungspotential

Der Irak hat Riesenmengen an Biowaffen produziert

Die ehemalige UN-Chefinspekteurin Gabriele Kraatz-Wadsack über das irakische Waffenpotenzial
Berlin - Ein Schlüsselfaktor in der Diskussion um einen möglichen Militärschlag gegen den Irak ist Bagdads Potenzial an Massenvernichtungswaffen. Die Mikrobiologin Gabriele Kraatz-Wadsack, selbst ehemalige Chefinspekteurin der UN-Biowaffenkommission im Irak und Beraterin zum Thema Bioterrorismus am Robert-Koch-Institut, hält die Bedrohung durch Bagdad für sehr realistisch. Mit ihr sprach Sophie Mühlmann.

DIE WELT: Hat der Irak etwas zu verbergen?

Gabriele Kraatz-Wadsack: Meiner Einschätzung nach ja. Es gäbe sonst keinen Grund, die Waffeninspekteure nicht ins Land zu lassen.

DIE WELT: Dick Cheney spricht von einer tödlichen Bedrohung, die von Bagdad ausgeht. Hat er Recht damit?

Kraatz-Wadsack: Irak hat sein Biowaffenprogramm den Vereinten Nationen erst 1995 offengelegt statt 1991 - und auch dann nicht den Gesamtumfang dieses Programms. Internationale Expertengremien haben etliche Diskrepanzen gefunden. Sie sind zu dem Schluss gekommen, dass man nicht feststellen konnte, ob das irakische Biowaffenprogramm jemals geendet hat.

DIE WELT: Über welche Waffen verfügt Saddam Hussein nach Ihren Erkenntnissen?

Kraatz-Wadsack: Die irakische Regierung hat uns offen gelegt, dass sie Milzbrand und Nervengift in größten Mengen produziert hat, dass sie Aflatoxin produziert hat, ein Pilzgift, das Leberkrebs hervorruft. Dieses war bereits in Waffen gefüllt, in Raketensprengköpfe und Bomben. Sie hatte weiterhin Gasbrand und das Pflanzengift Rizin produziert. Dazu wirtschaftliche Schäden verursachende Erreger, die zum Beispiel Weizenbrand hervorrufen. Außerdem gab es Forschungs- und Entwicklungsarbeit an verschiedenen Viren. Wenn Sie dieses große Spektrum an tödlichen und krank machenden Erregern sehen, dann können Sie erkennen, was für ein Know-how dahintersteht. Das Programm war industrialisiert, es wurden Freilandversuche und Tierversuche durchgeführt. Irak hat innerhalb kürzester Zeit Riesenmengen produziert.

DIE WELT: Und Sie vermuten, das ist alles immer noch vorhanden.

Kraatz-Wadsack: Die Expertise ist auf jeden Fall noch vorhanden. Die Wissenschaftler sind da, die Dokumente wurden uns nicht übergeben, Waffensysteme und Produktionsdaten sind nicht vollständig aufgeklärt.

DIE WELT: Sind das ausschließlich irakische Wissenschaftler, oder hatte Bagdad für sein Biowaffenprogramm Hilfe aus dem Ausland.

Kraatz-Wadsack: Wir haben nur mit irakischen Wissenschaftlern zu tun gehabt. Und die Iraker haben, was ihre Biowaffen angeht, auch nie behauptet, sie hätten Hilfe vom Ausland erhalten. Allerdings gab es während des Golfkriegs Importe aus dem Ausland, die nicht offensichtlich einem Biowaffenprogramm zuzuordnen waren. Viel ist in der industriellen Infrastruktur versteckt, zum Beispiel in Einrichtungen zur Impfstoffproduktion, die sie dann verändert haben. Im Biowaffenbereich kann man alles sowohl im zivilen wie auch im militärischen Bereich nutzen. Das lässt sich nicht so einfach zuordnen.

DIE WELT: Wie sind Ihre Erfahrungen bei den Kontrollen. Wie spürt man Biowaffen auf?

Kraatz-Wadsack: Als Inspektor geht man den Informationen nach, die der Irak liefert, man spricht mit Wissenschaftlern und sucht selbst nach Spuren. Die offiziellen Informationen muss man dann verifizieren. Man muss die Einrichtung aufsuchen, Gerätetechnik analysieren, Proben aus Geräten und Rohmaterialien entnehmen, Kameras installieren und Sensoren einbauen, um festzustellen, wie oft das Gerät benutzt wird. Wir hatten zusätzlich Hubschrauberinspektionen und Satelliten, also ein sehr intensives Inspektionsregime - das aber davon abhängt, dass Bagdad ihnen jederzeit, überall, ohne Behinderung Zutritt zu allen Einrichtungen und Informationen gewährt. Und das war das Handicap: Irak ist diesem Mandat der UNO nicht gefolgt.

DIE WELT: Wie versucht er denn, die Kontrollen vor Ort zu behindern?

Kraatz-Wadsack: Einfache Behinderung sieht so aus: Sie kommen in eine Einrichtung, und der irakische Repräsentant sagt, es gibt keine Schlüssel. Eine extremere Situation ist es, wenn der Irak sagt, in diese Einrichtung lassen wir euch gar nicht rein. Dann muss erst mal ein Regierungsrepräsentant anreisen, bevor es weitergeht. Verzögerungstaktik. Dann haben Sie es zum Teil mit gefälschten Dokumenten zu tun, oder mit falschen Repräsentanten. Sie haben einfach keinen Zugang zu richtigen Informationen.

DIE WELT: Man wird also auch ganz konkret belogen?

Kraatz-Wadsack: Ja.

DIE WELT: Sie waren schon auf 26 Inspektionsmissionen im Irak. Wie reell schätzen Sie heute die Gefahr ein, die von Bagdad ausgeht?

Kraatz-Wadsack: Das ist natürlich Spekulation. Aber die Intention kann man schon einschätzen. Wir wissen, dass der Irak im Golfkrieg Raketen nach Israel, Saudi-Arabien und Bahrain abgefeuert hat, die nicht mit unkonventionellem Waffenmaterial beladen waren. Im Irak-Iran-Krieg und gegen die Kurden haben sie Chemiewaffen eingesetzt. Biowaffen waren das Geheimprogramm, und sie haben uns gesagt, das wollen sie als Abschreckung haben. 1991 waren diese Waffen einsetzbar, wurden aber nicht eingesetzt. Sie waren bereits in Raketen und Bomben abgefüllt. Die Waffensysteme sind sicher heute in großen Teilen reduziert, aber natürlich weiß man nicht, was in den letzten dreieinhalb Jahren vor sich gegangen ist, seit die Inspektionen unterbrochen sind. Der Irak hat auf jeden Fall das Know-how und das Potenzial.

Gabriele Kraatz-Wadsack ist Fachtierärztin für Mikrobiologie. Von 1995 bis Oktober 2001 reiste sie 26 mal zu Inspektionsmissionen in den Irak. Heute ist sie Beraterin am Robert-Koch-Institut in Berlin.

DIE WELT 30. 08. 2002


3. Aktuelle Themen
3.3.
Europäische Außenminister greifen Bushs Politik an

Zwei Wochen nach der Rede von US-Präsident Bush zur Lage der Nation herrscht zwischen den USA und der Europäischen Union offener Streit über den Kurs der internationalen Politik. Hatten anfangs nur die Medien verhaltene Kritik an Bushs Äußerungen geübt, während sich die Politik diplomatisch zurückhielt, so häufen sich in jüngster Zeit Stimmen führender europäischer Politiker, die die amerikanische Außenpolitik heftig angreifen. Auch der Ton in den Medien wird zunehmend schärfer.

Die Kritik richtet sich gegen die unilaterale Ausrichtung der US-Außenpolitik, gegen ihre einseitige Betonung militärischer Mittel, gegen die Unterstützung Sharons im israelisch-palästinensischen Konflikt und gegen die Bedrohung des Iraks, des Irans und Nordkoreas durch Bush.

Als erster hochrangiger europäischer Politiker bekräftigte der spanische Außenminister Josep Piqué am 5. Februar, dass die Europäischen Union trotz der amerikanischen Anschuldigungen gegen den Iran am Verhandlungskurs mit Teheran festhalten werde. Spanien hat zur Zeit den Vorsitz der EU inne.

Zwei Tage später verurteilte Piqués französischer Amtskollege Hubert Védrine in scharfen Worten die unilaterale Haltung der Bush-Regierung. "Wir werden derzeit bedroht durch einen vereinfachenden Ansatz, der alle Probleme der Welt auf den bloßen Kampf gegen den Terrorismus reduziert", sagte er in einem Interview mit France Inter. "Das ist nicht gut durchdacht, diese Vorstellung können wir nicht akzeptieren." Die Amerikaner handelten "unilateralistisch, ohne andere zu konsultieren, und sie treffen Entscheidungen nur noch entsprechend ihrer Weltsicht und ihrer Interessen."

Ähnlich heftig griff der EU-Kommissar für Außenpolitik, Chris Patten, Bushs Kurs an. In einem Interview mit dem Guardian vom 9. Februar warf der frühere Generalsekretär der britischen Tories und Gouverneur von Hong Kong der US-Regierung vor, sie habe eine "sehr absolute und vereinfachende" Sicht der restlichen Welt. Es sei Zeit, dass sich die europäischen Regierungen zu Wort meldeten und Washington Einhalt geböten, bevor es den "unilateralen Schnellgang" einlege. "Gulliver kann nicht alles im Alleingang erledigen. Und es hilft nichts, wenn wir uns selbst so sehr als Liliputaner begreifen, dass wir dies nicht aussprechen."

In Deutschland meldete sich der Staatsminister im Auswärtigen Amt Ludger Vollmer zu Wort. Er beschuldigte Bush mit Blick auf den Golfkrieg, er wolle im Irak "alte Rechungen begleichen" und benutze das Terror-Argument lediglich als Vorwand. Und der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Karl Lamers, wunderte sich in einem Spiegel -Gespräch über das "erstaunliche Schweigen" der Bundesregierung angesichts der Kriegsvorbereitungen gegen den Irak. "Wenn sich die Situation zuspitzen sollte, wenn es konkrete Vorbereitungen für einen Angriff gibt, dann müssen der Bundeskanzler und der Außenminister ihre Stimme erheben," forderte er.

Am vergangenen Wochenende trafen sich dann die Außenminister aller 15 EU-Staaten zu einem informellen Treffen im spanischen Cáceres. Obwohl sie keine offiziellen Beschlüsse fassten, wurde doch deutlich, dass sie die Kritik an den USA alle in der einen oder anderen Form teilen. Den heftigen Äußerungen Pattens soll jedenfalls keiner der Anwesenden widersprochen haben.

Auch Javier Solana, der Hohe Repräsentant für die EU-Außenpolitik, mahnte nun die USA, nicht "der Gefahr eines globalen Unilateralismus" zu erliegen. Der deutsche Außenminister Joschka Fischer kritisierte Bushs These von der "Achse des Bösen". Dies sei nicht die "Art, wie wir Politik anlegen". Sein französischer Kollege Hubert Védrine bedauerte, "dass wir jetzt laut werden müssen, um gehört zu werden". Und der britische Außenminister Jack Straw sprach von "unterschiedlichen Positionen" zwischen den USA und der EU.

Vor allem die Lage im Nahen Osten beschäftigte die EU-Außenminister. Diese sei "Teil der europäischen Sicherheit", sagte Fischer. Als "direkter Nachbar" dürfe Europa "nicht untätig zuschauen". Védrine schlug eine eigene Friedensinitiative vor, mit einer beschleunigten Anerkennung eines Palästinenserstaats und Neuwahlen zur Stärkung Arafats als Kernpunkten. Das stieß allerdings unter den europäischen Kollegen auf Skepsis. Die USA wiesen Védrines Vorschlag umgehend als "nicht hilfreich" zurück. Dennoch wollen die Europäer im Nahen Osten aktiv bleiben. Sowohl der britische Außenminister Straw wie auch sein deutscher Kollege Fischer reisen noch diese Woche in die Region.

Das Aufbrechen heftiger Konflikte zwischen den USA und der Europäischen Union kommt nicht überraschend. Hier werden die wirklichen Beweggründe sichtbar, die dem "Krieg gegen den Terrorismus" zugrunde liegen. Die Anschläge vom 11. September haben zwar den unmittelbaren Anlass für den Waffengang im Mittleren Osten geliefert, aber die Vorbereitungen dazu waren seit mindestens zehn Jahren, seit dem Golfkrieg von 1991 im Gange. Es geht um die Kontrolle über das Öl und Gas der Golfregion und Zentralasiens.

Das Ende der Sowjetunion hat dem transatlantischen Bündnis die Existenzgrundlage entzogen und die Voraussetzungen für ein Neuordnung der Einfluss- und Interessensphären unter den mächtigsten imperialistischen Mächten geschaffen. Europa und Amerika, die je für etwa einen Drittel des Weltwirtschaftsvolumens aufkommen, treffen dabei als natürliche Rivalen aufeinander. Die herrschende Klasse Europas wird nicht tatenlos hinnehmen, dass sich Amerika in einer Region militärisch festsetzt und politisch den Ton angibt, in der die größten, für das eigene wirtschaftliche Überleben unverzichtbaren Energiereserven der Welt liegen.

Es hat nur sechs Monate gedauert, bis aus dem Staub des eingestürzten World Trade Centers die wirklichen Fragen, um die es bei diesem Konflikt geht, hervorgetreten sind. Viele europäische Medien beschuldigen die USA inzwischen offen imperialistischer Ambitionen. So warf ein Kommentar des Deutschlandsfunks vom 4. Februar der USA vor, sie zündele "an einem geopolitischen Pulverfass" und verfange sich "volens nolens in der Rolle eines faktischen Bedrohers des Weltfriedens". In der Frankfurter Rundschau vom 8. Februar war von der "säbelrasselnden Kriegsrhetorik" des George W. Bush die Rede.

Der britische Observer schrieb am 10. Februar, die Erhöhung der US-Rüstungsausgaben zeige, dass Amerika "zu Beginn des 21. Jahrhunderts weniger eine Supermacht ist, als ein Leviathan auf der Weltbühne. Wirtschaftlich vorherrschend verfügt es über eine militärische und kulturelle Macht, wie es sie seit den Tagen der römischen Kaiser nicht mehr gegeben hat... Bezeichnenderweise blieb es den gegenüber der globalen Hegemonie der USA traditionell misstrauischen Franzosen überlassen, dafür einen passenden Begriff zu finden. Gigantisme militaire nennen sie es, ein Ausdruck der sowohl das Ausmaß der amerikanischen Ansprüche als auch einen krankhaften Zustand beschriebt: Einen Organismus, der so groß geworden ist, dass er krank ist."

Und dann stellt die Zeitung die Frage: "Die restliche Welt fragt sich: Gegen welchen Feind bewaffnet sich Amerika so stark? Und warum?" Die Antwort lässt sie einen britischen Friedensforscher geben: "Der Krieg gegen den Terrorismus ist nur ein Euphemismus für die Ausdehnung der amerikanischen Kontrolle über die Welt, sei es durch die Gewalt seiner Flugzeugträger oder den Bau neuer Militärbasen in Zentralasien."

Zum Leidwesen seiner politischen Elite ist Europa den USA militärisch weit unterlegen. Nach den jüngsten Erhöhungen seines Militärhaushalts geben die USA im kommenden Jahr 379 Milliarden Dollar für Rüstung aus, alle anderen Nato-Staaten zusammen gerade einmal 140 Milliarden. Der technologische Abstand hat sich in den letzten zehn Jahren erhöht. In den für die moderne Kriegsführung entscheidenden Bereichen Aufklärung, Kommunikation, High-Tech-Waffen und Mobilität liegen die USA eine ganze Waffengeneration vor den Europäern - ein nahezu uneinholbarer Vorsprung.

Den Frust über diesen Zustand hat Chris Patten in seinem Interview mit dem Guardian offen geäußert: "Präsident Bush hat gerade eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben um 48 Mrd. Dollar angekündigt," sagte er. "Wenn Sie die Summe, die wir für die Verteidigung auszugeben bereit sind, zum Maßstab für die europäischen Beziehungen zu Amerika machen, dann vergessen Sie es! Wir können noch nicht einmal das Eintrittsgeld bezahlen!"

Keine europäische Partei sei bereit, wie Bush für eine 14-prozentige Erhöhung der Verteidigungsausgaben einzutreten, meinte Patten. Die europäischen Regierungen bemühen sich stattdessen, internationalen politischen Einfluss zu gewinnen, indem sie sich als friedliebenden Gegenpol zu den kriegslüsternen USA darstellen, bemüht um die Beseitigung globaler Ungleichheit und Ungerechtigkeit.

"Offen gesagt, intelligente Bomben haben ihren Platz, aber intelligente Entwicklungshilfe scheint mir noch wichtiger zu sein," sagte Patten und wies darauf hin, dass Europa für 55% der weltweiten Entwicklungshilfe und für zwei Drittel der Hilfskredite aufkomme. "Wenn wir also zum ‚weichen Aspekt der Sicherheit' kommen, wie die Amerikaner es nennen - und was meiner Meinung nach der harte Aspekt der Sicherheit ist - dann haben wir eine Menge beizutragen."

Ähnlich lautete der Tenor zahlreicher Aussagen der in Cárcares versammelten europäischen Außenminister.

Bezeichnenderweise bemühen sich gerade linksliberale Presseorgane, die europäischen Regierungen zu einer außenpolitischen Offensive gegen die USA zu ermutigen. So sieht die Frankfurter Rundschau vom 11. Februar im "Alleingang der USA eine Chance für die Europäer, die eigene Außenpolitik zu schärfen und zu stärken".

"Die europäische Sicht von der Komplexität der Konflikte, von dem Zusammenhang zwischen Unterdrückung, Unterentwicklung, Armut, Ungerechtigkeit, Gewalt und Terrorismus, findet in Washington derzeit keinen Adressaten," begründet dies die Rundschau. Da sei "es genau besehen von Vorteil, dass der Alleingang der USA die Europäer jetzt zur klaren Konturierung der unterschiedlichen Konzepte zwingt. Denn Resignation und Warten auf bessere Zeiten sind für die EU keine Option. Dafür ist sie nun doch zu groß. Sie würde historisch versagen, nutzte sie diese Lage nicht zur Schärfung und Stärkung der eigenen Außenpolitik."

Der Kommentar warnt vor einem "ruinösen Rüstungswettlauf mit den USA" und bemerkt abschließend: "Die Stärke Europas liegt darin, einfachen Lösungen und militärischen Antworten zu misstrauen... Wenn das momentan nur in Abgrenzung zu den USA geht, sei's drum."

Man sollte sich durch die pazifistische und soziale Wortwahl der Rundschau nicht täuschen lassen. Der Kern ihres Vorschlags besteht darin, dass Europa eine außenpolitische Offensive startet, um die USA zu isolieren und seine eigenen globalen Interessen geltend zu machen. Das entspricht voll und ganz den Absichten der europäischen Regierungen. Dass sie dabei keineswegs zimperlich vorgehen, zeigt ein Blick auf die französische Kolonialpolitik in Afrika, die maßgeblich zum Völkermord in Ruanda beigetragen hat, oder auf die deutsche Außenpolitik in Jugoslawien, die jahrelang den kroatischen Nationalismus geschürt und so die Voraussetzungen für das folgende ethnische Gemetzel geschaffen hat.

Es gibt in Europa auch nach wie vor Stimmen, die eine Konfrontation mit den USA ablehnen. Die Meinungsverschiedenheiten über den einzuschlagenden Kurs erstrecken sich dabei quer durch die politischen Lager.

Am schärfsten sind sie in Großbritannien, dessen traditionelle außenpolitische Rolle als "Brücke" zwischen den Kontinenten sich angesichts der tiefer werdenden Kluft zwischen Amerika und Europa immer weniger aufrecht erhalten lässt. Die oppositionellen Tories treten offiziell für einen engen Schulterschluss mit der Bush-Regierung ein. So beschuldigte Schattenverteidigungsminister Bernard Jenkins Regierungschef Tony Blair, der eine Mittelposition zwischen Bush und seinen Kritikern einnimmt, er betreibe gegenüber dem Terrorismus eine Politik des Appeasement wie einst sein Vorgänger Chamberlain gegenüber Hitler.

Auf dem Kontinent sind die Meinungsverschiedenheiten eher taktischer Natur. Lange Zeit setzte das außenpolitische Establishment auf den gemäßigteren Flügel der amerikanischen Regierung um Außenminister Colin Powell und enthielt sich jeder scharfen Kritik, um die Falken um Verteidigungsminister Donald Rumsfeld nicht unnötig zu reizen. Inzwischen setzt sich aber zunehmend die Auffassung durch, dass ein offener Konflikt unvermeidlich sei.

Für die Bevölkerung Europas kann eine derartige außenpolitische Offensive nur negative Folgen haben. Ein imperialistischer Vorstoß nach außen und die Beseitigung demokratischer und sozialer Rechte im Innern lassen sich nicht voneinander trennen. Das macht schon der umfassende Angriff auf Bürgerrechte deutlich, mit dem sämtliche europäischen Regierungen auf die Ereignisse vom 11. September und ihre Folgen reagiert haben. Eine außenpolitische Offensive ist auch keine Alternative zu einem ruinösen Rüstungswettlauf, wie die Rundschau behauptet. Beide ergänzen sich, wie die intensiven Bemühungen um unabhängige europäische Streitkräfte zeigen.

Es gibt nur eine Alternative zur Militarisierung der internationalen Beziehungen: Die Einheit der europäischen und amerikanischen Arbeiterklasse in einem gemeinsamen Kampf gegen den Militarismus und zur Verteidigung ihrer demokratischen Rechte und sozialen Errungenschaften.

Von Peter Schwarz 14. Februar 2002 World Socialist Web Site. Quelle: www.wsws.org/de/2002/feb2002/euus-f14.shtml


3. Aktuelle Themen
3.4. Der Internationale Strafgerichtshof
3.4.1. Was macht der Internationale Strafgerichtshof?

Frankfurt/Main - Das UN-Tribunal soll Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Völkermord und Kriegsverbrechen wie Vergewaltigung oder die Rekrutierung Minderjähriger sowie das Führen eines Angriffskriegs aburteilen. Als Höchststrafe kann für die Verantwortlichen lebenslange Haft angeordnet werden.

Der Strafgerichtshof soll nur tätig werden, wenn die Behörden einzelner Staaten unwillig oder nicht in der Lage sind, die genannten Verbrechen selbst zu ahnden. Das Tribunal wird auch nur für Straftaten zuständig sein, die nach In-Kraft-Treten seines Statuts am 1. Juli 2002 verübt wurden. Bei Kriegsverbrechen kann es nur tätig werden, wenn die Tat in einem Unterzeichnerstaat geschehen ist oder der Verdächtige aus einem solchen Land stammt.

Fälle zur Behandlung können von Staaten eingereicht werden, die das Abkommen ratifiziert haben, sowie vom Weltsicherheitsrat und dem Anklagevertreter des Gerichts, der aber die Zustimmung eines dreiköpfigen Richtergremiums benötigt. 18 Richter und ein Chefankläger aus unterschiedlichen Staaten sollen bis Anfang 2003 nominiert werden. Das Gericht wird über eine unabhängige Anklagebehörde, Ermittlungsrichter und eine Berufungsinstanz verfügen.

Insgesamt 120 Staaten vereinbarten im Juli 1998 in Rom die Schaffung dieses ständigen Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. Bislang gab es dort nur UN-Tribunale mit einem begrenzten Mandat, etwa zur Aufarbeitung der Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien oder in Ruanda. Inzwischen haben 139 Länder das römische Statut unterzeichnet.

Quelle: AP zit. n. DIE WELT 03.07.2002


3. Aktuelle Themen
3.4. Der Internationale Strafgerichtshof

3.4.2. Berlin gegen Sonderverträge mit den USA

EU-Außenminister beraten über transatlantische Kontroverse zum Internationalen Strafgerichtshof
Bettina Vestring

HELSINGÖR, 30. August. Die Bundesregierung macht jetzt auch im Streit um den Internationalen Strafgerichtshof Front gegen die USA. Wie die "Berliner Zeitung" am Freitag aus EU-Kreisen erfuhr, weist Berlin die US-Forderung nach weit reichenden Ausnahmen für amerikanische Staatsbürger grundsätzlich zurück. In einem gemeinsamen Rechtsgutachten seien die Juristen des Auswärtigen Amtes und des Justizministeriums zu dem Schluss gekommen, dass sich die Bundesregierung nicht verpflichten dürfe, US-Bürger nicht an den Strafgerichtshof auszuliefern. Deutschland verstoße sonst gegen seine vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem Gericht. Die Zuständigkeit des Gerichts dürfe nicht durch bilaterale Verträge untergraben werden.

Die US-Regierung bemüht sich derzeit in über hundert Ländern um den Abschluss von Nichtauslieferungsverträgen. Sie will verhindern, dass amerikanische Soldaten und Regierungsvertreter an den Internationalen Strafgerichtshof ausgeliefert werden könnten, weil sie politische Prozesse befürchtet. Der neu gegründete Internationale Strafgerichtshof in Den Haag soll Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit weltweit verfolgen können.

Eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums bestätigte gegenüber der "Berliner Zeitung", dass es eine "gemeinsame, abgestimmte Position" der Ministerien zu der US-Anfrage gebe. Sie sei letzte Woche politisch gebilligt worden. Außenminister Joschka Fischer werde diese Position auch beim EU-Treffen im dänischen Helsingör vortragen. Dort wollen die 15 Außenminister versuchen, eine gemeinsame Haltung zu finden.

Das dürfte schwierig werden: Zwar hält die EU-Kommision die Nichtauslieferungsverträge für unzulässig; auch die Mehrheit der Mitgliedsländer sind dieser Meinung. Doch offenbar ist vor allem die britische Regierung bereit, den USA weit entgegenzukommen. In EU-Kreisen hieß es, nach britischer Auffassung verstießen die geforderten Nichtauslieferungsverträge nicht gegen die Statuten des Gerichtshofs. Die Möglichkeit für Ausnahmen sei schließlich bereits im Gründungsvertrag vorgesehen. Auch Dänemark, das in diesem Halbjahr die EU-Präsidentschaft innehat, sieht Verhandlungsspielraum: Dänische Juristen glauben, dass man sich mit den USA auf der Grundlage von bestehenden Nato-Stationierungsabkommen einigen könnte. "Wir wollen sicherstellen, dass der Gerichtshof nicht geschwächt wird", sagte Dänemarks Außenminister Per Stig Moeller am Freitag. "Aber wir wollen auch eine Lösung für die amerikanischen Probleme finden."

Ein Einlenken der EU dürfte weltweit Schule machen: Washington setzt Partnerländer massiv unter Druck, um Nichtauslieferungsverträge abzuschließen. Ziel sind vor allem die osteuropäischen Länder, die Nato-Mitglied werden wollen. Nato-Kandidat Rumänien hat ein solches Abkommen bereits unterzeichnet, weltweit sonst nur Israel, Osttimor und Tadschikistan.

Schwerpunktthema Irak

Beherrscht werden wird das EU-Außenministertreffen vor allem von der Irak-Krise: Zum ersten Mal wollen sich Europas Spitzendiplomaten über ihre Haltung zu den US-Angriffsdrohungen austauschen. Mit besonderer Spannung wird die Erläuterung der Position Großbritanniens erwartet: Die britische Regierung, eigentlich ein treuer Verbündeter der USA, steht unter zunehmendem innenpolitischen Druck, sich gegen einen US-Angriff zu stellen.


http://www.BerlinOnline.de/aktuelles/berliner_zeitung/politik/.html/172459.html http://www.BerlinOnline.de, 31.08.2002