unterrichten
vor dem referendariat
während der examenszeit habe ich an der schule in zeven schon mal
angefragt, ob ich ein paar stunden deutsch geben könne. die haben
mir sozusagen "die füße geküsst"! herr k., der
stellvertretende schulleiter, kriegte sich gar nicht mehr ein. 50% unterrichtsausfall
und da kommt einer her und will stunden geben!!
zwei
klassen bat man mich zu übernehmen und die stunden sollte ich FR
und MO geben, damit ich in der woche in hannover sein kann (daran hatte
ich gar nicht gedacht). ich wählte mir zwei oberstufenklassen aus,
was sehr verwunderte, denn es hieß, die jüngeren klassen seien
doch leichter zu handhaben. durch das studium sei mir die oberstufe näher,
meinte ich, logisch!
die namensschilder waren in der ersten stunde sehr praktisch für
mich, so lernte ich die namen schnell. schul- und klassenerfahrung waren
mir völlig neu und da saß ich nach dem unterricht zu hause
und lernte begeistert ihre namen auswendig. mit dieser begeisterung hatten
sie nicht gerechnet. ich merkte es in der nächsten stunde eigentlich
sofort, dass sie ihre namensschilder vertauscht hatten. die namen hatte
ich ja gut auswendig gelernt und so redete ich die schüler:innen
trotz ihres falschen namensschildes mit richtigem namen an. das machte
aber eindruck!
es war ein schönes unterrichten, konflikte gab es eigentlich keine,
vielleicht einen:
in einer klassenarbeit hatte ich als interpretationsaufgabe das gedicht
todesfuge von paul celan genommen. das empörte eine besorgte
mutter und schrieb mir einen langen brief. die klasse bekam das mit und
reagierte betroffen; ich glaube, ich tat ihnen leid. die klasse nahm es
dem sohn der briefschreiberin auch etwas übel (man konnte die stimmung
spüren), aber ich wollte keine probleme, vor allem nicht mit diesem
schüler*. (spielt geige im stück)
ich wusste aber, warum
ich dieses gedicht ausgewählt hatte und antwortete der mutter mit
einem ebenso langen brief, indem ich erläuterte, warum ich dieses
gedicht ausgewählt hatte. der inhalt ist natürlich schrecklich,
schrieb ich, aber ca achtzehn jahre alte schüler und schülerinnen
seien doch alt genug, um sich den verbrechen der deutschen vergangenheit
stellen zu können.
dass ich nicht, wie
wohl erwartet, klein beigegeben hatte, verschaffte mir respekt auf allen
seiten und so
war alles klar für unser späteres abenteuer.
das
entwickelte sich aber erst langsam. bei der üblichen klassenlektüre
war ich in der auswahl völlig frei, so empfand ich das und so war
es. zunächst hatte ich mich für dramen-lektüre entschieden,
da man solche texte gut in verteilten rollen lesen kann und auf diese
weise viele schüler:innen dran kamen. bei der durchsicht der dramen
wollte ich dann doch nicht schiller nehmen (mein studium lässt grüßen!),
wallenstein - nein, bei allem respekt, den ich vor schiller habe. - da
fiel mir dürrenmatts die physiker in die hände, dieses
drama wollte ich schon immer mal lesen. jetzt aber. ich lag gemütlich
auf dem sofa und nach den ersten seiten habe ich nur noch gelacht; ich
konnte mich gar nicht mehr einkriegen!! was für eine herrliche komödie,
auch wenn einem bei der problematik ganz anders werden konnte.
wie
mir dann die folgende eingebung kam, weiß ich nicht mehr.**
denn plötzlich hatte ich den gedanken, dass man so ein tolles stück
doch auch aufführen könne. nachdem wir mit der lektüre
begonnen hatten, erzählte ich ihnen von meiner idee, dass sie dieses
stück aufführen sollten. erstmal waren sie wenig begeistert,
sie trauten sich sowas nicht zu, bemerkte ich und überhaupt ;-) aber
irgendwie ließ ich nicht locker und so langsam machten sie sich
mit dieser idee vertraut. und nach einiger zeit waren sie dann sogar feuer
und flamme. - wir fassten also den beschluss, die physiker aufzuführen.
damit wurde der grundstein für die theater-ag des viti gelegt.
jetzt
begannen die für so ein vorhaben üblichen fragen und probleme.
wann sollten wir das stück aufführen und vor allen dingen -
wo? wir hatten keine bühne!
wir sahen eigentlich
nur eine möglichkeit: die turnhalle. da mussten wir gleich zwei hürden
überwinden. erstmal ging es um die genehmigung des schulleiters,
aber da waren wir zuversichtlich. hocherfreut waren wir, als er unsere
aufführungsidee gleich bewilligte. das hatte also schon mal geklappt.
aber dann kam die richtige hürde, das waren die volleyball-spielenden
kollegen des viti, eine verschworene gemeinschaft. und ihr spieltermin,
donnerstags 16 uhr - dieser termin war heilig!
was tun?
sollte ich dr. s fragen, f. oder h.? ich habe nicht mehr in erinnerung,
wen ich fragte, aber sie bewilligten uns widerwillig (!) eine woche, (mal
sehen, was die da zustande bringen ...) das hieß innerhalb einer
woche aufbauen, spielen, abbauen. das schaffen wir, sagten wir uns.
also los! wir begannen mit der rollenverteilung, wer wird
schminken, wer wird .... ach ja, was ist nun überhaupt mit einer
bühne? der schüler w. meldete sich und sagte, sein vater hätte
ein baugeschäft und er erklärte sich bereit uns zu helfen.
puuuh! das wäre geschafft, es konnte also losgehen. so kam eins zum
anderen und was mir sehr gefiel (schon ganz der lehrer!), dass nämlich
mit den verschiedensten arbeiten praktisch alle schüler:innen eingebunden
waren. alles
war neu für uns und es machte viel spaß.
die ersten
proben fanden im rahmen des unterrichts statt. danach konnten wir im großen
kunstraum in kleiner gruppe üben, immer nur die, die in der geprobten
szene eine rolle hatten. wir mussten dann noch drei schüler der 7.
oder 8. klasse suchen, das ging erstaunlich schnell und reibungslos. auf
dem ersten proben-foto sind zwei von ihnen zu sehen, auf einem aufführungsfoto
alle drei.
möbius' abschied von seinen kindern |
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dr. mathilde von zahnd ruft die insassen zur ordnung
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die geheimagenten verständigen sich
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gefangen
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nach
den osterferien wurde es ernst. das baustellenmaterial wurde von einigen
schülern geholt und man konnte nur noch staunen - es entstand eine
richtige bühne. es wurde gehämmert und gesägt, selbst für
den soufleur wurde ein platz berücksichtigt. (ich hatte einen soufleurplatz
ins gespräch gebracht und war dann von der lösung völlig
überrascht worden - welch ein einfall. das ging natürlich nur,
weil wir die bühne komplett von grund auf errichten mussten.)
dann ging es um die technik! für die beleuchtung bekamen wir zugang
zur physik-sammlung. schüler e. hatte das schlüsselbund des
hausmeisters am gürtel (!) und organisierte den "physik-transfer".
(unser hausmeister war uns sehr behilflich; das muss erwähnt werden,
denn er hätte uns das alles sehr schwer machen können.)
für die leise sprechenden haben wir an mikrofone mit verstärkeranlage
gedacht. (ob wir die mikrofone wirklich brauchten?)
jedenfalls hatte die anlage zwischendurch etwas kurzwellenempfang, von
radio moskau, wie ich vorweg sagte. ich trug damals einen grünen
anzug (nicht knallig, sehr gedeckte farbe; das fand ich mal gut!) und
lief so hin und her.
und so
kam es zu unserer, in unserem verständnis und in unserer erinnerung,
herrlichen einmaligen aufführung von dürrenmatts die physiker.
manche
bekamen von unseren aktivitäten nichts mit, aber viele freuten sich
über unsere aktivität.
die in arbeit befindlichen baupläne für einen erweiterungsbau
der schule sahen einen musikraum vor, den man als bühne benutzen
konnte. "damit sie weiter theaterstücke aufführen können,
wenn sie aus dem referendariat zurück kommen!" sagte einer der
lehrer, der mit den planungen befasst war. später wusste ich es dann:
damit hatte ich in diesen unsicheren zeiten (wegen meines faches gemeinschaftskunde;
zum studienbeginn DAS fach, fünf jahre später uninteressant
für die einstellenden schulbehörden) schon eine feste stelle.
da konnte ich in fulda, wo man mir sogar auch ne stelle angeboten hatte,
sagen, dass ich schon eine habe. hörte sich wohl hochmütig an,
war aber nur schlichte freude, dass ich schon ne stelle hatte, vor (!)
der 2. prüfung, wo viele um eine stelle bangen mussten.
das publikum weiß noch nicht, was es erwartet:
der kommissar ist verzweifelt, die irrenärztin beruhigt den mörder
der inspektor
muss im irrenhaus einen mord aufklären. kann den geiger aber nicht
verhaften,
weil er ja nicht zurechnungsfähig ist, jedenfalls glaubte das jeder!
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möbius' lässt seine frau und seine kinder mit dem missionar
ziehen,
das abschiedsflötenkonzert seiner kinder raubt ihm den verstand.
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ein mord wird aufgenommen, der zweite, der dritte?
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verbeugen
ist ungewohnt |
das muss ich noch loswerden: ein französischlehrer, älter und
gesetzter, bat auf der ersten konferenz nach unserer aufführung ums
wort und sprach sehr ausführlich und ganz begeistert von unserer
aufführung. er lobte uns über den klee.
damit hatte ich überhaupt gerechnet, zumal nicht von ihm. er erwähnte
den inspektor, der bei ihm im unterricht nur ein eher schlechter schüler
war, aber in der rolle - wie schön, sagte er, dass man so einen schüler
so herrlich auf der bühne erleben kann.
was für eine
sensation für uns, ein stück - und dann noch dieses - auf die
bühne gestellt zu haben!
wir haben unser abenteuer
sogar gefilmt. mit einem VCR-gerät (schwarz-weiß, aber relativ
gute bildqualität. / ein system, eine entwicklungsstufe vor VHS /
Video2000 / betamax) und haben dann, die digitalisierung noch nicht im
blick, auf VHS (= das schlechteste system der drei setzte sich leider
durch) überspielt, mit hohem qualitätsverlust. als wir digitalisieren
konnten, da gab es das VCR-gerät nicht mehr!! so haben wir leider
nur die ganz schlechte VHS-qualität digitalisieren können,
ich habe einen kleinen ausschnitt verlinkt. nicht die stärkste szene,
aber für uns von historischen reiz, auch wenn den schauspielern das
schauspielen doch recht schwer fällt. möbius' kinder verabschieden
sich von ihrem vater mit einem flötenstück von buxtehude.(video
53") bei der dramatisch schlechten bildqualität der kopie
kann man sich ja an die fotos halten. es ist wohl müßig darauf
hinzuweisen, dass die kurze szene satirische züge hat.
die zevener zeitung war sehr zurückhaltend, der damalige chefredakteur
h. fragte mich, ob dass stück nicht zu anspruchsvoll für die
zevener bevölkerung sei. naja, denke ich, das ist doch irgendwie
beleidigend.
wie die volleyball-gruppe reagiert hat, weiß ich nicht mehr. ich
glaube, sie hatte aber gar nicht reagiert. aber ... ich bin mir nicht
sicher, denn ich vermische das vll mit einem ereignis viele jahre später
- nachdem man mich bat, der volleyball-gruppe beizutreten.
*
die mutter dieses schülers hatte einen bio-hof, zur
zeit der physiker völlig ungewöhnlich. vll war er deshalb ein
ganz klein wenig sonderbar.
... auf seite 64 blickt er als einstein auf seine ausbildung als geheimagent
zurück: " während man mir das geigen beibrachte: eine tortur
für einen völlig unmusikalischen menschen."
wer ihn kannte, der lachte darüber, denn er
war sehr musikalisch und wurde später musiklehrer.
wäre er 10 - 15 jahre später schüler gewesen, dann hätte
er es sicher etwas einfacher gehabt. "öko" war in der schülerschaft
in.
**
ich glaube, ich weiß es doch noch. als ich neulich mit meiner
älteren schwester telefonierte und sie herrn alpers erwähnte,
fiel es mir wie schuppen von den augen. herrn alpers, den wir geliebt
haben, wir drei geschwister hatten ihn der grundschule. in meiner vierten
klasse sollten wir ein theaterstück auf einem elternabend aufführen:
"das klinkesklanke lowesblatt". ich sollte die hauptrolle spielen.
wir lernten unsere rollen auswendig, probten szenen und bereiteten die
aufführung vor. - aber das stück wurde nicht aufgeführt.
die gründe hat man uns nicht genannt, weiß ich auch heute nicht.
aber die enttäuschung saß tief, denn wir wollten gerne aufführen!
ich glaube, durch diesen vergessenen (latent = sagt die psychologie) frust
wurde der gedanke des aufführens wieder wach, als ich dieses herrliche
stück von dürrenmatt las. bin mir ziemlich sicher!
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